
- Veröffentlichung25.11.1993
- RegieBernhard Sinkel
- Produktion1993
- Dauer98 Minuten
- GenreDrama
- Cast
Vorstellungen
Filmkritik
Als die Bilder noch nicht sprechen konnten, schilderten wortgewandte „Kinoerzähler“ aus dem Stegreif dem Publikum im Saal das stumme Geschehen auf der Leinwand. Ein heute längst vergessenes Metier aus der Frühzeit des Films, das der titelgebende Protagonist (Armin Mueller-Stahl) mit Leib und Seele betreibt. Dessen Leidenschaft für das Kino und die Kunst der Illusion packt schließlich auch sein Enkelkind Paul (Andrej Jautze). Seite an Seite durchstreifen die beiden die Ateliers im nahen Babelsberg und geraten dabei unversehens ins Schlachtgetümmel um den „Alten Fritz“, dessen leibhaftiges Erscheinen selbst den unsanften Rausschmiss zu einem engelsgleichen Geleit verklärt.
Allerdings sind die besten Tage des Kinoerzählers gezählt, seit seine Dienste mit dem Siegeszug des Tonfilms nicht mehr nachgefragt werden. Ein Verhängnis, das auch sein verzweifeltes Intermezzo als Violinist auf der Bühne des „Apollo“-Kinos nicht aufhalten kann. Seine ehedem so überschwängliche Kunst bedingt nunmehr gänzlich leere Kassen. Selbst privat plagen den erfolgsgewohnten Kinoerzähler plötzlich Sorgen. Von Frau und Tochter in seiner künstlerischen Ader von jeher unverstanden, wendet sich jetzt auch die wesentlich jüngere Frau Fritsche (Eva Mattes) von ihrem Verehrer ab und endlich „etwas Festem“ zu.
Die Zeit der Zeit stehen auf Sturm
Doch die Zeichen der Zeit stehen - vom Kinoerzähler anscheinend unbemerkt – überall auf Sturm. Schlägertrupps in brauner Uniform stürmen eine Vorstellung von „Im Westen nichts Neues“, verwüsten das gesamte Inventar und zwingen damit Herrn Theilhaber (Martin Benrath), den jüdischen Besitzer des „Apollo“, zur Aufgabe. Dort führen fortan die Nazis das große Wort. Der Kinoerzähler hofft auf eine Wiederbelebung des Stummfilms im Namen der „nationalen Erhebung“, muss vorerst jedoch mit einer Anstellung als Platzanweiser vorliebnehmen. Als durch eine Unachtsamkeit des Filmvorführers plötzlich alles in Flammen steht, stürzt der Kinoerzähler in die hinterste Kammer des Kinos, in der er seinen ehemaligen Chef verborgen hält. Eingekeilt zwischen brennenden Balken, erzählt er seine allerletzte Geschichte.
„Vorteile vom Tonfilm haben nur die Blinden“, urteilt der Kinoerzähler vernichtend über jene Erfindung, die ihn um den Sinn seines Lebens bringt. Ein Verdikt, das unfreiwillig die Kritik an der Verfilmung von Bernhard Sinkel vorwegnimmt, der die gleichnamige Vorlage des Romanautors Gert Hofmann für die Leinwand adaptiert. „Der Kinoerzähler“, das als erste Referenz-Produktion der neuformierten Babelsberger Studios im Vorgriff auf das Centenarium des Kinos im Jahre 1995 gedacht war, verharrt bieder und betulich in mittelklassiger DEFA-Tradition. Die Potenzen eines durch und durch „filmischen“ Sujets wie der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm am Anfang der 1930er-Jahre, das nach einer reizvollen Visualisierung geradezu schreien würde, werden – abgesehen von vereinzelten illustrativen Traumsequenzen – allenfalls ansatzweise ausgelotet. Ansonsten fällt der Abschied von einer vergangenen Ära der Filmgeschichte, der anachronistischerweise zugleich auch auf das Autorenkino unserer Tage gemünzt sein will, merkwürdig müde und uninspiriert aus.
In routiniert-rauchigem Tonfall
Mit dem Elan einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme samt Special Effects, Stunts und Dressurnummern gerät die behauptete Liebeserklärung an das Kino zu hölzernem Kintopp in dermaßen altbackener Manier, bis buchstäblich der Staub aus den kläglichen Kulissen und Kostümen rieselt. In routiniert rauchigem Tonfall haucht Armin Mueller-Stahl als kauziger Kinoerzähler etliche mehr oder minder sinnreiche Sentenzen seiner Kinophilosophie hin, die dem Publikum so rasch den Nerv rauben wie seinen Anverwandten im Film, sofern er sich nicht gänzlich auf sein mittlerweile reichlich verschlissenes Image als alternder Charmeur verlässt.
Die Verschränkung von Zeit-, Film- und Lebensgeschichte wirkt dabei allzu konstruiert, und die bemühten Anspielungen auf die gegenwärtige Umbruchsituation in Kunst und Politik - wenn etwa davon gesprochen wird, dass „Künstler“ wie Millionen andere plötzlich auf der Straße landen - bleiben forcierte Äußerlichkeiten. Sinkel erscheint in seinem Engagement letztlich unglaubwürdig, beschwört gerade das, was er nicht einzulösen vermag, und verkauft Unterhaltung weit unter Wert.
