Szene aus Der letzte Kaiser
Filmplakat von Der letzte Kaiser

Der letzte Kaiser

156 min | Drama, Biographie, Historie
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Monumentalfilm über das Leben des letzten Kaisers der chinesischen Qin-Dynastie. Bertolucci zeichnet das Leben von Pu-Yi nach, der mit nur zwei Jahren zum letzten chinesischen Kaiser gekrönt, mit fünf Jahren entmachtet und später verstoßen wurde. Der Film wurde 1987 mit insgesamt neun Oscars ausgezeichnet.
  • RegieBernardo Bertolucci
  • ProduktionChina, Vereinigtes Königreich, Japan
  • Dauer156 Minuten
  • GenreDramaBiographieHistorie
  • IMDb Rating7.8/10 (85478) Stimmen

Filmkritik

Über zehn Jahre nach dem monumentalen Italien-Epos "1900." ( (fd 20027) und 20 104) zieht Bernardo Bertolucci mit einem nicht minder aufwendigen, spektakulären und eindrucksvollen "Geschichtsfilm" erneut das öffentliche Interesse auf sich. Dazwischen lagen lediglich zwei Spielfilme: der Versuch, ein privates Schicksal mittels der ständigen Vertauschung von Theater und Wirklichkeit zu illustrieren ("La Luna"), und die verwirrte, leicht resignierte Abkehr des Regisseurs von der undurchschaubar gewordenen Realität Italiens ("Die Tragödie eines lächerlichen Mannes"). Danach folgte eine langjährige Suche nach neuen Projekten, schließlich der radikale Wechsel des kulturellen Hintergrundes, die Reise nach China, wo Bertolucci als erster Europäer an Originalschauplätzen filmen durfte.

Die Geschichte von Pu Yi, dem letzten chinesischen Kaiser der Mandschu-Dynastie (1905-1967), hat denn auch vieles von einem zauberhaften exotischen Märchen, wie es vielleicht nur ein tief im europäischen Erzählkino verwurzelter Regisseur nacherzählen konnte. Dieser europäische Blick, der durch erlesene Dekors und über fremde Rituale streift, weniger um Fremdheit als Faszination und Bewunderung einer fremden Kultur zu illustrieren, ist auch der auf ein Individuum, das unter dem übermächtigen Zwang historischer Verhältnisse leidet, zum Spielball nie durchschauter politischer Ränkespiele wird, ohne freilich darin gänzlich unterzugehen: Bertolucci inszeniert die "Tragödie eines lächerlichen Kaisers", eines unwirklich-theatralischen Regenten, der keine reale Macht besaß, schließlich in mehrfacher Hinsicht zur Marionette wurde. Ob solch ein Mensch zu sich selbst, zu seiner Identität finden kann, wird zur zentralen Frage, die offen bleibt, die in den Grenzbereich von mythischer Überhöhung und vorsichtiger Spekulation geschoben wird.

Der Film beginnt mit einem Selbstmordversuch des 45jährigen Pu Yi, der sich Anfang der 50er Jahre auf dem Weg in ein Umerziehungslager befindet. Nach Kriegsende in russische Gefangenschaft geraten und nun, fünf Jahre später, an China ausgeliefert, begegnet man in diesen ersten Bildern einer abgehärmten Gestalt in der tristen Kleidung aller Kriegsgefangenen. Als Pu Yi sich über einem Waschbecken die Pulsadern öffnet, führt die erste von vielen Rückblenden in die Vergangenheit: 1908 wird der Dreijährige von seinen Eltern getrennt und in die Verbotene Stadt gebracht, wo das Kind, ahnungslos Versteck spielend im bombastischen Inneren des Palastes, von der im Sterben liegenden Kaiserin-Großwitwe Tze Hsi erfährt, daß es nun Kaiser von China ist. Es beginnt eine Zeit, in der der Drachenthron zum Symbol für kindliche Machtbefugnisse wird, eine naive Vorstellung davon, alles tun zu können, was man will, ohne Rechenschaft und Verantwortung ablegen zu müssen - eine Vorstellung, die Pu Yi fast sein ganzes Leben begleiten und prägen wird. Doch schon bald wird der Palast das erste von vielen Gefängnissen für den "Sohn des Himmels". 1911 wird China Republik, der Kaiser darf aber sein Reich mit all seinem Luxus, den Hofdamen, Nebenfrauen und Eunuchen vorerst behalten, es jedoch nicht verlassen. Nur wenig von dem, was draußen vorgeht, erfährt Pu Yi über seinen schottischen Hauslehrer Johnston, der ihm auch eine Ahnung der westlichen Entwicklung vermittelt; entsprechend gebärdet er sich nach 1924, als er mit seinen beiden Frauen den Palast räumen muß, als Dandy im luxuriösen Art-Deco-Ambiente, ein Gernegroß, der sich politische Macht und ausdrucksstarke Persönlichkeit herbeiträumt. Dementsprechend akzeptiert Pu Yi die japanische Einladung zur Übersiedlung von Tientsin nach Manschuria, wo er sich 193 1 zum ahnungslosen Operetten-Kaiser von Manchukuo ausrufen läßt - und zum Spielball der japanischen Expansionspolitik wird. Dermaßen unschuldig-schuldig verwickelt in die Entwicklung des Zweiten Weltkrieges, gelangt Pu Yi in russische Kriegsgefangenschaft und schließlich in jenes Umerziehungslager, in dem er in zehn Jahren zum vorbildlichen "Umdenker" erzogen wird, der mit Beginn der Kulturrevolution nach Peking zurückkehren darf; ein "neuer" Mensch, einer von vielen Millionen, der als Gärtner arbeitet, äußerlich befreit von allen Insignien der Macht.

Ob Pu Yi auch innerlich als ein "neuer" Mensch im Sinne eines gereiften, sich selbst erkennenden Individuums nach Peking zurückkehrt, läßt Bertolucci wohlweislich offen, bietet jedoch in einem wunderschönen Epilog ein vorsichtig deutendes Bild an: Als alter Mann in "sein" Haus der 9999 Kammern zurückgekehrt, das längst ein Museum ist, erklärt er einem Kind, wer er einmal war. In der Hand dieses Kindes schlüpft aus einer Dose, die Pu Yi als Kind gehört hat, wunderbarerweise jene Grille von einst, lebendig und endlich befreit aus einem jahrzehntelangen Gefängnis, genau in dem Moment, in dem der alte Pu Yi spurlos aus dem Bild verschwindet. Erst im Augenblick seines physischen Todes, so scheint das Bild sagen zu wollen, ist der letzte Kaiser wirklich frei; Maos Umerziehungslager könnten nur ein weiterer Schritt in der langen Kette fortlaufender Manipulationen gewesen sein. Daß Pu Yi nie die Chance hatte, Historie und Politik zu durchschauen, deutet Bertolucci auch mit seiner Inszenierungsweise an; er bemüht sich, trotz akribisch rekonstruierter Eckdaten, eigentlich nie darum, Geschichte durchschaubar zu machen, vielmehr illustriert er sie an Hand ihres Beiwerks und ihrer (kulturellen) Auswirkungen und Folgeerscheinungen. Rigoros behält er den subjektiven Blick Pu Yis bei, verdeutlicht, wie wenig dieser begreift, setzt sich gleichzeitig aber der Gefahr aus, daß auch der Zuschauer nur wenig begreift. Doch immer wieder ist es Bertolucci gelungen, die naturalistische Ausstattung, den überbordend-aufwendigen Ausstattungspomp zu stilisieren und damit hinterfragbar zu machen, so daß sein Film doch weitaus mehr bietet als "Historienschinken" im Stil von "Lawrence von Arabien". Tücher, Fahnen, Bettdecken und -laken in symbolgebenden Farben werden beispielsweise zum Sinnbild für das, was "darunter liegt", verborgen bleibt, während sich die Oberfläche bewegt und eigene Landschaften bildet - Landschaften, die auch Abbilder sind für das ungeheure Gefühlspotential, das unter der Oberfläche schlummert, Sinnbilder für Lebensgier, Neugier, ebenso aber für eine immense Trauer, nie der sein zu dürfen, der man sein will.

Erschienen auf filmdienst.deDer letzte KaiserVon: HPK (31.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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