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Filmkritik
Lang hat es gedauert, bis Noah Gordons historischer Roman aus dem Jahr 1986 das Licht der Kinoleinwand erblickte. Über Gründe dafür mag man spekulieren: über allzu vermessene Produzenten, die dem Erfolg des Buchs mit „falschen“ Schauwerten begegnen wollten; über die seinerzeit noch unausgereifte CGI-Technik, die erst heute den Aufwand an Szenerien, Orten und Kulissen visuell angemessen abbilden kann; vor allem aber über den Umgang mit dem humanistischen Kern des mittelalterlichen Medizin-Epos, den Gordon selbst stets erhalten wissen wollte. Gerade in dieser Hinsicht kann Philipp Stölzls Adaption durchaus punkten: Bei allem Aufwand an Schauwerten und Effekten, schillernden Settings und folkloristischen Kostümen bleibt das filmische Epos emotional jederzeit glaubwürdig und stimmig – und damit im guten Sinne sehr unterhaltsam. Dabei setzt der Film nicht auf psychologisch sonderlich ausgereifte Konturen, auch nicht auf die Erschaffung einer historisch korrekten Welt; was die Inszenierung zuvorderst umtreibt, ist die Idee einer abenteuerlichen Fantasie in der Tradition großer Kino-Epen. Im Kern erzählt „Der Medicus“ eine klassische Heldenreise, auf der es Abenteuer und Gefahren zu meistern gilt, der jugendliche Held schlechte wie gute Erfahrungen macht und am Ende reich belohnt wird – mit innerer Reife, beruflichem Erfolg und der großen Liebe. Der mittelalterlichen Fantasiewelt zwischen Okzident und Orient wird zudem ein gerütteltes Maß an „Facts & Fiction“ untergemischt: Die Entdeckungsreise zu den Quellen der modernen Medizin in der berühmten Madrassa im persischen Isfahan und der damit verbundene Wissenstransfer zurück ins „dumpfe Dunkel“ Europas ereignet sich im politisch brisanten Spannungsfeld der Weltreligionen, zwischen aufklärerischem Humanismus und gefährlich zunehmender Radikalisierung der islamischen Welt. Auch wenn viele Handlungsbögen und Figuren des Romans massiv gekappt oder variiert wurden, lässt sich die Erzählung gerade zu Beginn viel Zeit, um die rückständige Welt des frühen elften Jahrhunderts in England auszumalen: Armut und Ausbeutung sowie die Repressionen staatlicher wie kirchlicher Obrigkeit bedrängen auch den kindlichen Protagonisten Rob Cole, der in einer Mine hart für ein Stück Brot arbeitet, tatenlos dem Tod seiner Mutter zusehen muss, von seinen Geschwistern getrennt wird und mit einem grantigen, aber herzensguten Wanderheiler über die Dörfer zieht. Während er heranwächst und die bescheidenen Fähigkeiten seines Mentors erlernt, Zähneziehen, Schröpfen und Amputieren, quälen ihn Erinnerungen an seine Hilflosigkeit angesichts der an der „Seitenkrankheit“ gestorbenen Mutter. Seine Wissbegier in medizinischen Fragen wächst von Tag zu Tag, und als Rob vom überragenden Wissen des Gelehrten Ibn Sina hört, bricht er auf, um nach langer, gefährlicher Reise in Persien dessen Meisterschüler zu werden. Seine Camouflage zwischen christlicher und jüdischer Identität verquickt sich mit den sich radikalisierenden Tendenzen in der islamischen Welt, als der „weltliche“ Schah von hasserfüllten Seldschuken-Völkern und fanatischen Fundamentalisten bedroht wird; zeitgleich führt Rob sein Ringen um medizinische Erkenntnis aber auch über bestehende Grenzen hinweg, über die Gefährdung durch die Pest wie auch über das Tabu der Leichenöffnung. Dies alles erzählt der Film „prall“ und unterhaltsam vor exotischen Kulissen von Wüsten, fremden Städten und Orten; wobei alles stets sehr genau kalkuliert ist, weshalb die Rettung aus Lebensgefahr ebenso zur rechten Zeit erfolgt wie der Tod eines geliebten Freundes als tragisches Opfer. Vom humanistischen Ideendrama eines Gottfried Lessing, der in „Nathan, der Weise“ die friedliche Koexistenz der Religionen beschwor, ist das ebenso weit entfernt wie von einer stichhaltigen Analyse politischer Verhältnisse – wobei freilich viele der Themen im weiten Feld zwischen Aufklärung und Verblendung durchaus angelegt sind und sich der Film im (plakativen) Umgang mit ihnen eine respektable Integrität bewahrt. Vorrangig aber atmet er großes Abenteuer: romantisch und sinnlich, tragisch und emphatisch, mitunter faszinierend visualisiert, changierend zwischen „Lawrence von Arabien“ (fd 11 864) und „Der Tiger von Eschnapur“ (fd 7760) – auch das eine Fallhöhe, die dem Film interessanterweise nicht zum Schaden gereicht.
