Szene aus Der Schneeleopard
Filmplakat von Der Schneeleopard

Der Schneeleopard

92 min | Dokumentarfilm | FSK 0
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Szene 6 aus Der Schneeleopard
Im Herzen des tibetischen Hochlands begibt sich Natur- und Wildlife-Fotograf Vincent Munier zusammen mit dem Schriftsteller Sylvain Tesson auf die Suche nach dem Schneeleoparden. Nur noch wenige Exemplare der gefährdeten und scheuen Art sind in freier Wildbahn anzutreffen. Tagelang durchstreifen die beiden Männer das Gebirge, lesen Spuren, werden mit der Landschaft eins. Geduldig harren sie aus, beobachten und fotografieren. Ihre langsame Jagd nach dem Schneeleoparden entwickelt sich dabei zu einer inneren Reise, einem stillen Dialog über den Platz des Menschen in einer verschwindenden Welt. Herausgekommen ist ein Film von überwältigender Schönheit. Tesson hat seine Erfahrungen im Buch "Der Schneeleopard" (Rowohlt Verlag, über Monate auf der Spiegel-Bestsellerliste) verarbeitet, der 3-malige "BBC Wildlife Photographer of the Year" Munier seine atemberaubenden Fotografien im Bildband "Zwischen Fels und Eis" (Knesebeck Verlag) auf Papier gebannt. Die Musik steuerten Nick Cave und Warren Ellis zum Film bei.

Filmkritik

Die Wahrscheinlichkeit, in freier Wildbahn auf einen Schneeleoparden zu treffen, dürfte für Himalaya-Touristen ungefähr so hoch sein wie jene, von einem Yeti zum Tee eingeladen zu werden. Denn das Raubtier lebt als Einzelgänger in großen Höhen und ist in seiner Heimat Zentralasien überdies in seinem Bestand stark dezimiert. Experten gehen davon aus, dass es von den Großkatzen nur noch ein paar Tausend gibt. Für einen Tierfotografen wie Vincent Munier stand der Schneeleopard deshalb als Objekt seiner beruflichen Neugier schon immer ganz weit oben. Im Gegensatz zu seinen sonstigen Gewohnheiten, allein auf Tour zu gehen, ließ er sich bei dieser Expedition von dem Reiseschriftsteller Sylvain Tesson und der Kamerafrau und Regisseurin Marie Amiguet begleiten.

In eisiger Höhe auf der Lauer

Tesson hielt ihre Erlebnisse anschließend in einem gleichnamigen Buch fest, das zum Bestseller avancierte, und Munier publizierte seine Fotos in dem opulenten Bildband „Zwischen Fels und Eis“. Das kann man eine effiziente Verwertungskette nennen. Der dazugehörige Dokumentarfilm ist aber ein durchaus eigenständiges Werk mit imposanten Bildern. Zwar ist die Frage, ob man die scheue Raubkatze tatsächlich vor die Linse bekommen hat, durch die beiden Buchveröffentlichungen im Kern schon beantwortet. Doch der Film nutzt eine andere Dramaturgie, bei der vor allem der Weg das Ziel ist. Und das heißt vor allem: Warten. Man sieht, wie sich Munier und Tesson in den frühen Morgenstunden immer wieder bei Eiseskälte in einer Höhe von über 4000 Meter auf den Weg machen und sich dann auf die Lauer legen. Um nicht entdeckt zu werden, dürfen sie allenfalls flüstern, was dem Fotografen nicht schwerfällt, den Autor aber vor Herausforderungen stellt.

Zwei Menschen beim Schweigen zuzusehen, wäre allerdings nicht sonderlich spannend. Doch die grandiose Umgebung sorgt dafür, dass man sich an den Bildern kaum sattsehen kann. Gigantische Gebirgszüge in Grau- und Brauntönen wechseln mit wüstenartigen Tälern, ein überwältigendes Wechselspiel von (Gegen-)Licht und Schatten, Totalen und Nahaufnahmen. Die gleichermaßen unwirtlich wie unwirklich anmutende Landschaft bietet einer erstaunlich vielfältigen Tierwelt ein Auskommen. Yaks, verschiedene Antilopenarten, Wölfe, Geier und selbst Braunbären tummeln sich in dieser eisigen Höhe. Und da der Film nicht zuletzt ein Plädoyer für das genaue Hinsehen ist, sieht man auch viele Kleintiere.

Das Warten und die Entschleunigung

Für den Schriftsteller Sylvain Tesson entwickelt sich die Expedition zum echten Selbsterfahrungstrip, wie er flüsternd vor der Kamera oder im Off erklärt. Bei seinen vielen Reisen rund um den Globus habe er offenbar nie wirklich etwas gesehen, weil er viel zu schnell unterwegs gewesen sei. Auch kommt ihm die Erinnerung, dass er jahrelang durch die Welt jettete, um Vorträge über Entschleunigung zu halten, als Wartender im Himalaya nun geradezu absurd vor.

Bisweilen nehmen sich diese Einsichten etwas pathetisch aus, doch Tesson widersteht der Versuchung, aus seinen neuen Erfahrungen gleich irgendwelche Patentrezepte zur Rettung der Welt abzuleiten. Die Mahnung zum Erhalt dieser (Natur-)Schönheit ist zwar ständig präsent, kommt aber ohne dicke Pinselstriche aus.

Am besten ist „Der Schneeleopard“ immer dort, wo überhaupt nicht geredet wird, sondern allenfalls der tosende Wind zu hören ist. Das verleiht den Bildern etwas Erhabenes und gleichzeitig Melancholisches, wie man es in anderen Himalaya-Dokumentationen noch nicht gesehen hat. Zur stillen Hymne an die Natur tragen auch Nick Cave und sein langjähriger Mitstreiter Warren Ellis mit einem Soundtrack bei, der sich auf sparsame, gelegentlich hingetupfte Piano- und Geigentöne beschränkt.

Erschienen auf filmdienst.deDer SchneeleopardVon: Reinhard Lüke (14.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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