Szene aus Die Adern der Welt
Filmplakat von Die Adern der Welt

Die Adern der Welt

96 min | Drama | FSK 0
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In der mongolischen Steppe lebt der 12-jährige Amra mit seiner Mutter Zaya, seinem Vater Erdene und seiner kleinen Schwester Altaa ein traditionelles Nomadenleben. Während sich Zaya um die Ziegenherde kümmert und Erdene als Mechaniker und durch den Verkauf von Käse auf dem lokalen Markt sein Geld verdient, träumt Amra einen ganz anderen Traum: Er will ins Fernsehen und bei der Show „Mongolia's Got Talent“ auftreten. Doch das friedliche und ursprüngliche Leben der Familie wird durch das Eindringen internationaler Bergbauunternehmen bedroht, die den Lebensraum der Nomaden rücksichtslos zerstören. Erdene ist der Anführer derer, die sich der Ausbeutung widersetzen. Ein tragischer Unfall ändert jedoch alles. Plötzlich muss Amra den Kampf seines Vaters fortsetzen.
  • RegieByambasuren Davaa
  • ProduktionDeutschland, Mongolei
  • Dauer96 Minuten
  • GenreDrama
  • AltersfreigabeFSK 0
  • TMDb Rating7.2/10 (6) Stimmen

Filmkritik

Mitten im Nirgendwo einer baumlosen Steppe, die von ein paar kahlen Hügeln begrenzt wird, steht eine Jurte, das traditionelle Wohnzelt der mongolischen Nomaden. Hier lebt der zwölfjährige Amra mit seiner Familie. Seine Mutter Zaya kümmert sich um die kleine Altaa und um die Tiere, eine Herde zotteliger Ziegen. Den Käse, den Zaya selbst herstellt, verkauft Amras Vater Erdene auf dem Markt in der nächsten Kleinstadt. Dort arbeitet er als Automechaniker. Jeden Morgen nimmt er Amra im Auto mit, um den Jungen zur Schule zu bringen.

Bagger reißen die Steppe auf

Doch das ruhige Leben inmitten der Natur ist bedroht, denn immer näher rücken die Bagger der Minengesellschaft, die überall Land aufkauft, um nach Gold zu schürfen. Schon an vielen Stellen klaffen tiefe Löcher im Boden, und viele Menschen haben die Steppe bereits verlassen und sind in die Stadt gezogen. Erdene gehört zu einer Gruppe von Nomaden, die sich gegen die Bergbaufirmen zur Wehr setzen. Während Amra versucht, von seinen Eltern die Unterschrift für die Teilnahme an der Fernsehsendung „Mongolia’s got Talent“ zu ergattern, verschärft sich die Situation. Erdene wird zum Sprecher der Community gewählt, die sich gegen den Druck der Minengesellschaft zur Wehr setzen will. Gerade noch rechtzeitig bekommt Amra seine Unterschriften, so dass er mit dem Vater zur Vorauswahl fahren kann. Auf der Rückfahrt gibt es einen schrecklichen Unfall, den Amras Vater nicht überlebt. Der Junge setzt den Kampf seines Vaters fort. Er sabotiert erfolgreich die Maschinen der Minengesellschaft, und gleichzeitig rückt der Termin für die Show immer näher.

Die Filmemacherin Byambasuren Davaa verknüpft ihr großes Thema – das Leben zwischen Tradition und Moderne, verbunden mit der Sehnsucht nach dem Ursprünglichen, in ihrem Spielfilmdebüt mit mehreren Erzählsträngen und Aspekten: ein Junge, der davon träumt, mit einem Lied seiner Vorfahren im Fernsehen aufzutreten, der nahezu aussichtslose Kampf der Nomaden gegen die Ausbeutung ihres Landes und die Geschichte einer Familie, die mit einem Schicksalsschlag zurechtkommen muss.

Die Fülle der Probleme erweckt gelegentlich den Eindruck, als sei der Film inhaltlich überladen, was eigentlich gar nicht nötig wäre, denn Davaa kann sich auf ihre exquisite Bildsprache verlassen. Sie verfügt längst über die entsprechenden filmischen Mittel, die sie schon in „Die Geschichte des weinenden Kamels“ perfektionierte. Zudem steht ihr für die Bildgestaltung Talal Khoury zur Seite, dessen Bilder vom Leben der Nomaden den realistischen Eindruck verstärken. Panoramaschwenks und Fernaufnahmen, die die eigenartige Schönheit der mongolischen Steppe aufleben lassen, gehören zum Repertoire. So fährt ein winziges Auto einsam durch die karge Landschaft oder fängt die Kamera Vater und Sohn ein, wenn sie vor der untergehenden Sonne einen Hügel erklimmen.

Aufforderung zum Widerstand

Am Ende steigert sich der Film inhaltlich und visuell zum Appell: Amras Lied über die „goldene Erde“ und die Luftbilder der vom Bergbau zerstörten Steppe fungieren als politisches Statement und stellen eine kaum verhüllte Aufforderung zum Widerstand dar. Zusätzlich informiert ein Insert, dass bereits mehr als ein Fünftel der Mongolei als Bergbaugebiet ausgewiesen ist. Diese Form von Agitprop wirkt etwas altmodisch in ihrer Direktheit, passt aber zum Gesamtbild, in dem sich die Sehnsucht nach der vorgeblich heilen Welt früherer Zeiten mit dem Wunsch nach den neuesten Errungenschaften der modernen Zeit mischt.

Manchmal ist die Mischung von alt und neu fast komisch, etwa wenn sich Amra und seine Freunde, alle in unbequemen Schuluniformen, Youtube-Videos von Fernsehsendungen auf den Handys vorspielen. Das ist dann beinahe ebenso exotisch und ungewöhnlich wie die in ihrer Schlichtheit ergreifenden Rituale und Gebräuche der Nomaden, die hier dokumentarisch festgehalten werden, etwa die Trauerfeier für Erdene.

Ein hohes Maß an Gelassenheit

Durch den Tod seines Vaters sieht sich Amra plötzlich als Erwachsener. Er fühlt sich schuldig und kann deshalb nicht mehr singen. Die Mutter holt ihn unter dem „Kraftbaum“ der Familie gleichsam wieder in die Normalität zurück. Sie verfügt über eine gehörige Portion Pragmatismus, mit dem sie ihre eigene Trauer bewältigt. Sie bleibt stets gefasst, auch wenn sie mit den Kindern unter dem bunt geschmückten „Kraftbaum“ steht und von Erdene Abschied nimmt. Enerel Tumen spielt Zaya souverän als in sich selbst ruhende Frau mit nur gelegentlich hervorsprühender Energie. Bat-Ireedui Batmunkh verfügt als Amra über viel kindlichen Charme; er ist ein richtiger Hans Dampf in allen Gassen, kann singen, reiten, Auto fahren und mit Sprengstoff umgehen; aber er wahrt wie seine Mutter ein hohes Maß an Grundgelassenheit, die zur Atmosphäre des Films passt – und zu den ruhigen Bildern mit ihren spektakulären Landschaftsaufnahmen.

Erschienen auf filmdienst.deDie Adern der WeltVon: Gaby Sikorski (24.5.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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