Szene aus DIE AUßERGEWÖHNLICHE REISE DER CELESTE GARCIA
Filmplakat von DIE AUßERGEWÖHNLICHE REISE DER CELESTE GARCIA

DIE AUßERGEWÖHNLICHE REISE DER CELESTE GARCIA

92 min | Komödie, Science Fiction
Celeste García war einst Lehrerin. Jetzt gibt sie Führungen im Planetarium von Havanna. Eigentlich sehnt sich die 60-Jährige danach, ihr Leben zu verändern. Eines Tages gibt die Regierung bekannt, dass in der kubanischen Gesellschaft schon seit längerem Aliens in menschlicher Gestalt leben. Einige ausgewählte Kubaner sollen nun die Möglichkeit erhalten, deren Heimatplaneten Gryok kennenzulernen. Da wittert Celeste ihre Chance auf ein erfüllteres Dasein. Sie nimmt die Einladung an und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise. Und sie ist nicht die einzige, die unbedingt dabei sein will…
Die warmherzige und im heutigen Kuba hochpolitische Science-Fiction-Komödie erzählt von Celestes Aufbruch ins Ungewisse, der sie zur ihrer ganz persönlichen Wahrheit und Emanzipation führt.
  • RegieArturo Infante
  • ProduktionDeutschland, Kuba
  • Dauer92 Minuten
  • GenreKomödieScience Fiction
  • IMDb Rating7.1/10 (62) Stimmen

Filmkritik

Außerirdische in Havanna? Warum nicht? Für die Nachrichtensprecher des staatlichen Fernsehens scheint das ganz normal zu sein, sozusagen Teil eines systemimmanenten Fortschrittsversprechens und der immer wieder unterstrichenen Völkerverständigung. Wie die meisten Kubaner hat sich auch Celeste García (María Isabel Díaz) an wenig glaubhafte Versprechungen und ungewöhnliche Ausblicke auf die Wirklichkeit gewöhnt. Doch in diesem Fall ist es anders; mit ihren eigenen Augen hat die 60-jährige Frau gesehen, wie die Nachbarwohnung zu später Stunde plötzlich in grellem Licht erstrahlte. Am nächsten Morgen war die Nachbarin verschwunden. Wahrscheinlich war sie eine der Außerirdischen.

Celeste García ist eine gute sozialistische Bürgerin, aber sie kämpft oft auf verlorenem Posten und sitzt deshalb häufig zwischen den Stühlen. Sie ist eine Witwe, die sich immer noch gegenüber ihrem Ehemann schuldig fühlt, obwohl der sie immer wieder verhöhnt und geschlagen hat. Seinetwegen wurde die Lehrerin sogar frühzeitig in die Pension geschickt, denn nach der Logik der Funktionäre aus dem Bildungsapparat kann eine misshandelte Frau im Sinne der sozialistischen Ethik kein Vorbild für Kinder sein. Seitdem arbeitet Celeste García im Planetarium und führt Touristen und Schulklassen in die Welt der Sterne ein.

Die Geheimnisse zwischen den Ritzen

Als die Regierung Freiwillige für ein interplanetarisches Austauschprogramm sucht, um sie auf den Planeten Gryok zu schicken, hält sich Celeste zunächst zurück. Nur durch einen Zufall steht sie plötzlich doch auf die Liste. Und findet sich mit anderen inmitten verfallender Neubauten auf dem Land wieder, in einem Lager mit einer strengen Ausbilderin, die sie auf die Wirklichkeit des neuen Planeten vorbereiten soll.

Celeste begegnet unterschiedlichsten Menschen, die alle ihre Gründe haben, warum sie Kuba verlassen möchten. Trotz des harten Trainings hat die ehemalige Pädagogin Muße, über ihr Leben nachzudenken, über ihre Vergangenheit und die Schuldgefühle, aber auch über ihre Träume von der Zukunft. Und das auch deshalb, weil das Raumschiff auf sich warten lässt.

Science-Fiction und Gesellschaftskritik

Warten und Leerlauf sind im kubanischen Kino wichtige, immer wiederkehrende Motive. Die Protagonisten warten mal auf Erdbeereis, mal auf den Autobus, auf Formulare, um tote Angehörigen zu bestatten oder auf die Genehmigung, die sozialistische Zuckerinsel zu verlassen. Das Warten ist Teil einer humorvollen Auseinandersetzung mit dem sozialistischen Alltag, mit der Mangelwirtschaft und den grotesken Auswüchsen der Bürokratie.

Der kubanische Humor ist häufig ziemlich schwarz und voller selbstironischem Sarkasmus, volkstümlich und immer auf der Suche nach zustimmenden Lachern des Publikums. Mitunter fällt er etwas derb aus, spielt aber auf Stimmungen und Situationen an, die jeder kennt.

Mehr als eine Komödie

„Die außergewöhnliche Reise der Celeste García“ steht zwischen der traditionellen kubanischen Sozialkomödie und einem neuen kubanischen Genrekino. Das Regiedebüt des Drehbuchautors Arturo Infante wurde von der jungen Produzentin Claudia Calviño produziert, die seit 15 Jahren mit ungewöhnlichen Genrefilmen frischen Wind in den kubanischen Film gebracht hat. Die Gesellschaftskomödie mit Science-Fiction-Elementen wird dabei von der Hauptdarstellerin María Isabel Díaz mit ihrem unschuldigen und doch so erfahrenen Blick getragen; aber auch prägnant gezeichnete Nebenfiguren, von der opportunistischen Leiterin des Planetariums bis zur paramilitärisch burschikosen Ausbilderin im Trainingslager, tragen zum Gelingen des Films bei.

Hinter Science-Fiction und Gesellschaftssatire geht es auch um die grundsätzliche Frage des kubanischen Alltags: Bleiben oder Fortgehen – und was dies für die unterschiedlichen Generationen bedeutet.

Der Film ist deshalb mehr als eine Komödie; der Film versteht sich als Bestandsaufnahme der kubanischen Gesellschaft und des tropischen Sozialismus in Wende- und Umbruchzeiten. Die subtile Parodie sozialistischer Heilsversprechungen zeichnet ein ebenso unterhaltsames wie vielschichtiges Porträt einer Gesellschaft, die sich gleichzeitig im Wandel und im Stillstand befindet.

Erschienen auf filmdienst.deDIE AUßERGEWÖHNLICHE REISE DER CELESTE GARCIAVon: Wolfgang Hamdorf (30.3.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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