Szene aus Die Farbe Lila

Die Farbe Lila

141 min | Drama | FSK 12
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Celie Harris lebt zusammen mit ihrer Schwester Nettie im amerikanischen Süden des beginnenden 20. Jahrhunderts. Bereits mit vierzehn Jahren wird sie von ihrem Vater vergewaltigt und anschließend an Albert „Mister“ Johnson verheiratet, der ihre geliebte Schwester aus dem Haus verbannt und ihr verbietet, sie jemals wiederzusehen. Während der folgenden Jahrzehnte in dieser gewaltvollen und gefühlskalten Ehe trifft Celie auf bemerkenswerte Frauen, deren eigene Geschichten alle auf unterschiedliche Weise mit der von Celie verwoben sind. Zu diesen gehört unter anderen die Sängerin Shug Avery, zu der sich – obwohl sie die Geliebte von „Mister“ ist – eine Freundschaft entwickelt. Nach vielen Widrigkeiten ist es schließlich an der Zeit, dass die Frauen ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Filmmusical nach dem gleichnamigen Roman von Alice Walker um die Schwierigkeiten der afroamerikanischen Bevölkerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

Filmkritik

Ein langsamer Rhythmus, eine getragene Melodie. Kein Lied, bei dem das Publikum aus vollem Herzen mitklatschen oder tanzen könnte, sondern eines, das genossen und in jeder Zeile aufgenommen werden soll. Shug Avery ist eine Sängerin, die weiß, was einen großen Auftritt ausmacht. Doch in diesem Fall stellt sie ihre Stimme ganz in den Dienst der Liedbotschaft, die einer als „Schwester“ angeredeten Frau Trost zuspricht und vom Vertrauen auf eine bessere Zukunft singt.

Man braucht nicht zu rätseln, wer gemeint ist; schon der Titel des Songs verrät es: „Miss Celie’s Blues“. Ein eindeutig adressiertes Geschenk also, dessen Bedeutung für Celie nicht hoch genug angesetzt werden kann. Denn bis dahin ist die Geschichte dieser Afroamerikanerin in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Abfolge von Verlusten, Gewalt und Leidenserfahrungen gewesen; ihre glücklichen Momente waren rar und nie von langer Dauer. Doch im intimen Band mit der Sängerin, die ihre Freundin geworden ist, scheint der Hoffnungsschimmer eines anderen Daseins auf. So wie sich Shug mit ihrer Kunst die Freiheit von anderen und ein selbstbestimmtes Leben ersungen hat, so pflanzt ihr Gesang auch in Celie einen verheißungsvollen Keim ein, dass sie ihre „Stimme“ finden wird.

Affinität für R&B-, Blues- und Jazznummern

Es ist diese Szene in der Musical-Filmversion von „Die Farbe Lila“, die klarmacht, wie sehr Musik als eine Form der Emanzipation schon immer im Kern dieser Geschichte steckte. Bereits der 1982 erschienene Roman von Alice Walker konfrontierte die Hauptfigur Celie nicht nur mit der selbstbewussten Sängerin Shug Avery und der mit ihr verbundenen Showbusiness-Sphäre, sondern war auch sprachlich durch einen ganz eigenen Rhythmus geprägt. Die Verfilmung von Steven Spielberg führte dann 1985 „Miss Celie’s Blues“ effektiv ein und setzte auch an anderen Stellen auf kraftvolle musikalische Sequenzen. Eine Übertragung ins Musical-Genre lag daher durchaus nahe, und der Zuspruch für die erstmals 2005 am Broadway aufgeführte, für ein Revival 2015 inhaltlich verfeinerte Adaption bestätigte die Affinität des Stoffes für eine Aufbereitung mit R&B-, Blues- und Jazznummern.

Daran lässt der aus Ghana stammende Regisseur Blitz Bazawule nun auch im Film von Anfang an keinen Zweifel aufkommen. Auf die Klänge eines Banjos und den kindlichen Zwiegesang der Schwestern Celie und Nettie folgt direkt der erste große Tanz- und Choreinsatz beim sonntäglichen Kirchgang der Stadtbewohner, wo die Gläubigen und der Reverend die „unergründlichen Wege“ des Herrn besingen. Für Celie ist das eine zwiespältige Botschaft, denn ihr sind mit 14 Jahren bereits Dinge widerfahren, die nichts mit göttlicher oder menschlicher Güte zu tun haben. Schon zum zweiten Mal ist sie von ihrem eigenen Vater schwanger; unmittelbar nach der Geburt bringt der das Baby wie schon das vorige weg, ohne ihr zu sagen, wohin. Bald darauf überlässt er sie einem verwitweten Nachbarn als neue Ehefrau – eine rein zweckdienliche Beziehung ohne Zuneigung, die für Celie Beschimpfungen, Schläge und Vergewaltigungen bereithält, nebst der gewaltsamen Trennung von ihrer geliebten Schwester.

Ein langes Martyrium

Dass Albert Johnson, den sie nur „Mister“ zu nennen wagt, auch zu zärtlichen Gefühlen fähig ist, erlebt sie nur durch seine unverblümte Schwärmerei für Shug Avery. Neben dem Bett, in dem er sich nachts an Celie vergeht, steht Shugs Foto, ein Zeichen für die Feindseligkeit des Mannes gegenüber Celie, allerdings durchaus auch schon für deren Hoffnung auf ein Ende ihrer Qualen. Wobei auch in dieser Version von „Die Farbe Lila“ Jahrzehnte verstreichen, bis sich Celies Lebensumstände zum Besseren wenden.

Die schonungslose Beschreibung des Schicksals einer schwarzen Frau in den US-amerikanischen Südstaaten wurde von Bazawule und dem Drehbuchautor Marcus Gardley nur an wenigen Stellen gemildert, auch wenn die Musical-Herangehensweise dies tendenziell nahegelegt hätte. Zumal das Setting in Georgia realistisch angelegt ist und die Landschaft mit ihren Baumungetümen, weiten Feldern und Sümpfen von Kameramann Dan Laustsen ausführlich eingefangen wird. Doch abgesehen von wenigen Momenten, etwa einer frühen Traumsequenz von Celie, in der sie in Zeitlupe durch einen Chor afroamerikanischer Strafgefangener spaziert, beißt sich der harte Realismus kaum mit der Musical-Verfremdung.

Schläge und Missbrauch werden nicht als Teil der Songs abstrahiert, wie es etwa in "West Side Story" bei der Gewalt zwischen Jugendgangs angewandt wurde, sondern stehen als Bestandteile einer rohen Nicht-Musical-Welt für sich, sodass der Ausbruch in Gesang oft unmittelbar als Strategie sichtbar wird, der harschen Realität entgegenzutreten. Das gilt für Celie, die in ihren (Solo-)Liedern von Flucht träumt und sich selbst Mut zuspricht, aber auch für andere Figuren, insbesondere ihren Stiefsohn Harpo und dessen Frau Sofia. Die steht mit ihrem leidenschaftlich geschmetterten Song „Hell No“ sogar musterhaft für die emanzipatorische Ebene des Stoffes.

Der Plan Gottes

Die beleibte, gutmütige Sofia, die jeden Schlag postwendend an den Adressaten oder die Adressatin zurückgibt, ist in der vitalen Interpretation durch Danielle Brooks der heimliche Star des Films. Neben ihr und der in der flamboyanten Aura von Shug Avery glühenden Taraji P. Henson wird die passivere Celie trotz der Bemühungen der Sängerin Fantasia Barrino sogar zeitweise in den Hintergrund gedrängt. Das zählt zu den wenigen Makeln der Inszenierung, denn ansonsten zeigt sich Bazawule, der auch als Musiker und Romanautor tätig ist, bei seiner ersten aufwändigen Hollywood-Regiearbeit bemerkenswert souverän. Die sorgfältig ausgesuchte Besetzung wird mit großer Sicherheit geführt, die Choreografien überzeugen mit Witz und Schwung, Reminiszenzen an klassische Hollywood-Musicals gelingen ebenso wie Zugeständnisse an Hip-Hop-Hörgewohnheiten, die intimeren Momente fesseln und berühren.

Wenn besonders zum Ende hin die Emotionen überzuschwappen drohen, ist das nicht dem Film und seinem Regisseur anzulasten; das Nebeneinander von naturalistischer Beschreibung und einem geradezu märchenhaften Empowerment, bei dem auch Kitsch nicht gescheut wird, war auch schon bei Alice Walker vorgegeben. Ebenso wie der religiöse Deutungsaspekt der Handlung, den das Musical offensiv betont. Von der Eröffnungssequenz an gerät den Figuren der Gedanke an die Führung durch einen verzwickten, aber letztlich wohlmeinenden Plan Gottes mit eingespeister Erlösung nie aus dem Blick. Den harten Vergehen folgen unweigerlich die Erkenntnis von Sündhaftigkeit und die Reue, was durch die recht differenzierte Zeichnung auch der männlichen Figuren an Glaubwürdigkeit gewinnt. Darin erweist sich der Film sogar als gelungene Aktualisierung von Roman und Erstverfilmung, die bei den Geschlechtern noch einer recht eindeutigen Lenkung von Sympathie und Antipathie folgten. Bazawules „Die Farbe Lila“ findet ihre eigene Stimme – und spiegelt damit trefflich die Emanzipation der Hauptfigur.

Erschienen auf filmdienst.deDie Farbe LilaVon: Marius Nobach (12.5.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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