Szene aus Doktor Schiwago
Filmplakat von Doktor Schiwago

Doktor Schiwago

197 min | Drama, Romanze, Historie | FSK 16
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Der russische Arzt Jurij Schiwago (Omar Sharif) verliebt sich in die junge Lara (Julie Christie). Dennoch heiratet er Tonya (Geraldine Chaplin), die Tochter seiner Pflegeeltern, denen er vieles zu verdanken hat. Schiwago gründet eine Familie mit Tonya, sein Herz gehört jedoch Lara. Sie gerät derweil unter den Einfluss zweier charismatischer Politiker. Während um sie herum der Erste Weltkrieg ausbricht, kreuzen sich die Leben Schiwagos und Laras immer wieder.
  • RegieDavid Lean
  • ProduktionVereinigte Staaten
  • Dauer197 Minuten
  • GenreDramaRomanzeHistorie
  • AltersfreigabeFSK 16
  • IMDb Rating8/10 (64890) Stimmen

Filmkritik

Der Erfolg von "Lawrence von Arabien" scheint David Lean bewogen zu haben, ein weiteres Werk der modernen Weltliteratur auf die Leinwand zu übertragen. Teilweise mit den gleichen Leuten und mit der gleichen Konzeption wie damals hat er den russischen Roman "Doktor Schiwago" verfilmt, der 1958 durch die Verleihung des Nobelpreises an Boris Pasternak Berühmtheit erlangt hat. "Wie in "Lawrence von Arabien" geht es um ein tragisches Einzelschicksal, das sich vor imposanter und bewegter historischer Kulisse erfüllt. Indes hat sich mindestens im Künstlerischen Leans Erfolg nicht erneuert. Das liegt vor allem daran, daß des Regisseurs Konzept auf diesen Roman nicht paßt.

"Doktor Schiwago" ist das Porträt eines russischen Arztes und Dichters, dessen Lebensspanne ungefähr die ersten drei Jahrzehnte dieses Jahrhunderts umfaßt. Interessant am Leben dieses Mannes ist an erster Stelle wohl das Schicksal des Gebildeten in der Epoche der Machtübernahme durch das Proletariat. Der Weltkrieg, die Revolution und die anschließenden Wirren entreißen Schiwago seinem Milieu, führen ihn nach Westen an die Front und nach Osten in die Provinz, berauben ihn auch seiner sozialen Stellung und seiner materiellen Lebensgrundlage. Der Film nimmt diese Veränderungen eher als vorgegeben, als daß er sie exakt nachzeichnet in einem Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Sie dienen ihm als belebende Elemente, die einen vielfachen Szenenwechsel ermöglichen. Zugleich halten sie den Zwiespalt wach, dem die Hauptaufmerksamkeit des Filmes gilt, den Konflikt der Gefühle, in den Schiwago durch seine zweifache Liebe gerät. Seiner Frau Tonja gegenüber, die von Kindheit auf seine Gespielin und Begleiterin war, sind seine Empfindungen von einer natürlich schönen Selbstverständlichkeit. Schicksalhaft dagegen ist seine Bindung an Lara, die Geliebte, deren Wege er immer wieder kreuzen muß. Daß der Film seine Schilderung einigermaßen konsequent in die Perspektive dieses Konflikts stellt, bedeutet nicht auch, daß er die Zusammenhänge erschöpfend ausleuchtet. Die psychologische Motivierung bleibt trotz einer gewissen Sorgfalt knapp, die Figuren werden eher durch die Umstände als aus ihrer Person charakterisiert. Diese Konzeption steckt bereits im Drehbuch. Auch die besseren unter den Darstellern haben wenig Gelegenheit, ihren Rollen Profil zu geben, da der Film seine Aufmerksamkeit unter ihnen aufsplittern und dabei erst noch den zeitgeschichtlichen Hintergrund im Auge behalten muß. Dieser Hintergrund, das Revolutionsgeschehen und die russische Kulisse (die in Spanien und Finnland rekonstruiert werden mußte) inspirieren Lean zu einem großangelegten Bilderbogen, der mit seinem Reichtum an Sujets der Schaufreude ihren Teil gibt, dabei trotz unleugbarem Zuviel an Politur und effektbewußtem Arrangement durch eine gewisse gestalterische Zucht die geschmacklichen Grenzen respektiert. Somit hat David Lean einen "großen" Film geschaffen, dessen Größe - meßbar an der Aufführungsdauer - erträglicher ist als diejenige mancher vergleichbaren Filme. Nimmt man freilich Maß an Leans eigenen Werken, dann bleibt festzustellen, daß dem Regisseur die Gestaltung individueller Schicksale vor historischem Hintergrund weniger geglückt ist als in "Lawrence von Arabien".

Der Vergleich mit Leans früherem Werk führt zurück zur Frage nach dem Verhältnis des Films zu seiner Vorlage. Daß der Regisseur diesmal nicht gleich erfolgreich ist, hat seinen Grund vor allem im Mißverhältnis zwischen Stoff und Konzeption. Lean soll erklärt haben, das wilde Geschehen, der Schrecken und der Aufruhr der Revolution stellten nichts als den Hintergrund für eine ergreifende Liebesgeschichte dar. Dieser Interpretation entspricht sein Film, nicht aber der Roman. Bei Pasternak ist das Verhältnis sogar eher umgekehrt. In seinen Beziehungen zu den beiden Frauen verwirklicht Schiwago sich selbst. Die Unterdrückung dieser Entfaltung durch die Revolution, welche einer personal geprägten Kultur um ihrer bisherigen sozialen Bindung willen feindlich gegenübersteht, diese Unterdrückung ist es, die als Erfahrung, gefiltert durch die Person und das Bewußtsein Schiwagos, den eigentlichen Gegenstand von Pasternaks Schilderung bildet. Aus solchem Zusammenhang herausgerissen, verlieren die einzelnen Elemente der Erzählung ihren Sinn und ihren Wahrheitsgehalt. Kennzeichnend für diesen Verlust ist es, wie das Verhältnis Schiwagos zu Tonja und Lara im Film zur banalen Dreiecksgeschichte absinkt und wie die Revolution als bloßer Hintergrund in ein bewegtes Abenteuer veräußerlicht. An den Schauspielern allein liegt es nicht, obwohl weder Omar Sharif noch Geraldine Chaplin über die erforderliche darstellerische Potenz verfügen, Julie Christie als Typ nicht ganz glaubhaft ist und auch die Nebenrollen - mit Ausnahme von Rod Steigers Komarowskij - den Eindruck eines letzten Ungenügens gegenüber dem Anspruch russischen Wesens hinterlassen. Aber der Unterschied zur Vorlage ist ohne ihre Schwächen schon deutlich genug: Drehbuch und Inszenierung haben den Stoff seiner Essenz beraubt und auch von politischem Sprengstoff weitgehend gesäubert, letzteres insbesondere durch die Umarbeitung des Epilogs zu einer Rahmengeschichte. Damit ist aus "Doktor Schiwago" ein Stück Unterhaltung geworden - großzügiger, bewegter, dreieinhalb Stunden leidlich überbrückender Unterhaltung.

Erschienen auf filmdienst.deDoktor SchiwagoVon: ejW (17.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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