Eine einsame Stadt
- RegieNicola Graef
- ProduktionDeutschland
- Dauer90 Minuten
- GenreDokumentarfilm
- AltersfreigabeFSK 0
Filmkritik
Eine Studentin, deren Gedanken sich ständig im Kreise drehen. Ein Fotograf, der mit 85 Jahren noch immer Junggeselle ist. Eine Yoga-Lehrerin, deren Mann sich in die Demenz verabschiedet hat. Ein Gewichtheber, dessen Frau verstorben ist. Ein Künstler, der in Trennung lebt. Eine alleinerziehende Mutter. Sie sitzen abends allein vor dem Fernseher und sehnen sich nach Geborgenheit, nach Nähe und Berührungen. Einige haben sich bewusst fürs Alleinsein entschieden. Andere sind auf der Suche nach neuer Nähe – im Sportclub, in der jüdischen Gemeinde, in der Eckkneipe. Eine Typologie entsteht auf diese Weise aber nicht. Das Einzige, was die Protagonisten verbindet, ist der Wohnort: Berlin.
In Berlin darf man nicht einsam sein
Berlin gilt meist als die Stadt der Chancen. Und der Kommunikation. Doch Einsamkeit und Partylaune schließen sich nicht aus. Deshalb lastet auf den porträtierten Personen eine besondere Variante des Freizeitstress, ein Druck, dazugehören zu müssen zu etwas, was man gerade nicht ist. Die Studentin fühlt sich am wohlsten, wenn sie allein auf dem Teufelsberg sitzt und sich die Stadt von oben anschaut. Eine Rentnerin geht am Wochenende nicht mehr aus, weil dann die Paare unterwegs sind und alle merken, dass man nicht dazugehört.
Zwischen Einsamkeitsgefühlen und Kreuzberger Nächten kommt ein Konformitätsdruck hoch, der in Berlin anders sein mag als im Rest der Republik. Wer hier abends nicht ausgeht, nicht aktiv mitschwimmt im Strom der Nonkonformisten, nicht selbstverwirklicht genug es allen zeigt, wie anders er/sie ist, fühlt sich schnell außen vor.
Liegt es an der Stadt oder einem selbst
Schwer zu sagen, ob das das Thema von „Eine einsame Stadt“ ist. Die Schicksalsschläge und Trennungsgeschichten, die Tessa, Efraim, Wieslawa, Micha, Thomas und Gesa hinter sich haben, würden auch in Buxtehude oder Radolfzell zu Einsamkeitsgefühlen führen. Wenn der an Demenz erkrankte Partner einen mit dem Geist verlässt, obwohl er körperlich noch da ist, oder die Ehefrau stirbt. Der „Versuch, mir selbst ein guter Freund zu sein“, dürfte auch in Meiningen eine Zeit lang helfen, über das Ende der Beziehung hinwegzukommen, ein paar Bier zu viel führen wohl auch in Neubrandenburg zu ungewohnten Bekanntschaften.
In zuweilen pointierten, mitunter aber auch überlangen Dialogszenen versucht die Regisseurin Nicola Graef zu ergründen, wie ihre Protagonisten mit ihrer Einsamkeit umgehen. Berlin, die Großstadt, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle.
Momentaufnahmen von schwierigen Lebenssituationen
Am Ende haben die meisten von ihnen einen Ausweg aus der inneren Leere gefunden. Eine neue Partnerin, ein Umzug in die Nähe der Tochter, die Gesellschaft in der Krabbelgruppe. Was bleibt, sind Momentaufnahmen, Porträts von Menschen, die sich mit schwierigen Lebensphasen herumplagen oder erkennen, dass die selbstgewählte Solitude eben auch etwas mit Isolation zu tun hat.
Für eine Reflexion ist „Eine einsame Stadt“ zu anekdotisch, für ein Lagebild zu willkürlich, für ein Psychogramm zu oberflächlich. Das, was auf der Leinwand passiert, und die Offenheit, mit der darüber gesprochen wird, ist zwar erfrischend normal, kommt aber über eine bloße Bestandsaufnahme nicht hinaus. Warum diese Stadt einsam sein soll, steht lediglich in der Backstory, und im Filmtitel.