Szene aus Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten
Filmplakat von Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten

Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten

104 min | Dokumentarfilm
Szene 1 aus Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten
Szene 2 aus Eine Revolution – Aufstand der Gelbwesten
Oktober 2018, Frankreich. Die Regierung Macron verordnet eine Steuererhöhung auf die Spritpreise. Eine Protestwelle überzieht das ganze Land: der Beginn der Gelbwesten-Bewegung. In Chartres, einem Vorort von Paris, treffen sich die Bürger:innen täglich, darunter Agnès, Benoît, Nathalie und Allan. Wer sind diese wütenden Menschen, was sind ihre Motive? Der Regisseur hat sechs Monate mit ihnen verbracht und zeigt, wie sie ihre Sache selbst in die Hand nehmen, sich organisieren und sich Gehör verschaffen. Ein Film, der detailgenau beobachtet: die Protestmethoden, die Ziele und die inneren Widersprüche der Gelbwesten-Bewegung. Er bewertet nicht, lässt Fragen offen und viel Raum zum Diskutieren.
  • RegieEmmanuel Gras
  • Dauer104 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • TMDb Rating7.8/10 (3) Stimmen

Filmkritik

Zahlreiche Menschen haben sich an diesem Abend in der Halle versammelt: Die Mitglieder der „Gelbwesten“-Sektion in Chartres sind zusammengekommen. Um sich gegenseitig Mut zu machen und Forderungen an die Politik zu formulieren. Viele tragen die Fahne der Tricolore. Benoit, ein hagerer Mann mit rasiertem Haar, fällt mit seiner rhetorischen Kühnheit besonders auf. Er prangert Liberalismus und Globalisierung an, schimpft auf Präsident Macron. Am Ende folgen die nüchternen nächsten Schritte: Morgen um 7 Uhr am Kreisverkehr vor dem Fitnessstudio! Die Menge tobt. Doch am nächsten Morgen kommen ganze acht Menschen zum Treffpunkt. Benoit ist nicht unter ihnen. Die paar Standhaften sind außer sich, fühlen sich im Stich gelassen.

Protestbewegung seit 2017

In seinem beobachtenden Dokumentarfilm „Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ widmet sich Regisseur Emmanuel Gras einer Protestbewegung, die im Jahr nach dem Amtsantritt Macrons 2017 entstand. Eine Ökosteuer sollte eingeführt, das Benzin dadurch verteuert werden. Ökologisch klingt doch sinnvoll, was kann dagegen schon einzuwenden sein? Zum Beispiel, dass so eine Steuer keine Rücksicht darauf nimmt, dass Menschen mit kleinen Einkommen in abgelegenen Regionen sich Mobilität dann noch weniger leisten können – der regionale Zugverkehr ist kümmerlich ausgebaut und keine wirkliche Alternative.

Gras enthält sich selbst eines einordnenden Kommentars, lässt die Gelbwesten selbst zu Wort kommen. Menschen wie Benoit, aber auch Agnès, Nathalie oder Allan. Sehr unterschiedliche Menschen, die im Leben zu kämpfen gelernt haben. Sie besetzen Kreisverkehre und Mautstationen, um gegen die Maßnahmen der Regierung zu protestieren. Aber auch zuhause kommen sie zu Wort, erzählen von ihrem täglichen Kampf um ein Leben in Würde. Auch Tränen fließen, eine Frau spricht von ihrem „langsamen Abstieg in die Hölle.“

Trostloser ländlicher Raum

Chartres liegt gerade mal 90 Kilometer südwestlich von Paris, doch es fühlt sich von den dort Regierenden vergessen. Gras fängt die Trostlosigkeit des ländlichen Raums mit seinen Gewerbegebieten und Kreisverkehren ein. Mit einem schönen beschaulichen Leben hat das rein gar nichts zu tun, auch wenn aus dem Off ein Chanson erklingt, das die Kleinstadtidylle besingt.

Die Forderungen der Gelbwesten gehen über die Abschaffung der Ökosteuer weit hinaus, sie fordern die Einführung von Volksabstimmungen, manche sogar den „Frexit“, den Austritt Frankreichs aus der EU. Aber sogar ökologisch Orientierte engagieren sich hier, oder Menschen, die über Konsum im Überfluss klagen. Gras zeigt, wie schwer es ist, eine solche Bewegung nach der ersten Begeisterung in Gang zu halten. Viele resignieren in den Mühen der Ebene. Neben der Politik und der Gleichgültigkeit vieler Menschen macht den Gelbwesten auch die mediale Öffentlichkeit zu schaffen, in der sie bisweilen wie reaktionäre Hinterwäldler erscheinen.

Die beobachtende Form stößt an Grenzen

Viele der Aufnahmen in „Revolution – Aufstand der Gelbwesten“ sind schon vor Jahren entstanden. Bestimmte Entwicklungen sind nicht abgebildet: Dem Vorwurf etwa, die Gelbwesten hätten sich im Lauf der Corona-Pandemie von den Gegnern der staatlichen Schutzmaßnahmen vereinnahmen lassen, kann nicht nachgegangen werden. Anschaulich wird dagegen die Darstellung einer Demonstration in Paris gezeigt, auf der es zum Einsatz von Tränengas durch die Polizei kommt. Die von Schutzkleidung abgeschirmten und anonymen Polizisten wirken sehr bedrohlich. Die Dynamik solcher Demonstrationen und der staatlichen Reaktion lässt sich aber anhand solcher Bilder kaum beurteilen; hier stößt die beobachtende Form an ihre Grenzen.

Die Gelbwesten sind eine Bewegung der sozial und räumlich Abgehängten. Sie zu porträtieren, bedarf einer gewissen Kühnheit. Zwar ist der Film sehr im französischen Kontext verortet, manches wirkt für hiesige Zuschauer weit weg. Aber dass sich Teile der Gesellschaft abgehängt fühlen, ist in Deutschland nicht anders. Was aus dem wachsenden Gefühl der Ausgeschlossenheit entsteht, erscheint auch hier noch völlig offen.

Erschienen auf filmdienst.deEine Revolution – Aufstand der GelbwestenVon: Arne Koltermann (5.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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