Szene aus Ernesto‘s Island
Filmplakat von Ernesto‘s Island

Ernesto‘s Island

115 min | Drama | FSK 12
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und führt ein luxuriöses westliches Single-Leben. Doch alles ändert sich, als seine Mutter, eine leidenschaftliche Kommunistin, stirbt und ihm ihren letzten Wunsch hinterlässt: Ihre Asche auf einer Insel vor der Küste Kubas zu verstreuen. Diese Insel namens "Ernst Thälmann" wurde von Fidel Castro den Ostdeutschen als Freundschaftsgeschenk überreicht. Während seines Roadtrips zur Insel muss Matthias nach und nach sein altes Leben loslassen. Er beginnt, die Kubaner um ihre Gemeinschaft, ihren Zusammenhalt und die sozialen Vorteile ihres Landes zu beneiden, ohne jedoch den Preis zu erkennen, den diese vermeintliche Schönheit fordert. Auf der Insel trifft Matthias auf seine Familie, die er eigentlich nicht sehen wollte, und findet eine Liebe, die er nicht ertragen kann. Gleichzeitig verliert er einen Freund, den er nicht retten konnte. In diesem Prozess entdeckt Matthias, was er immer vermisst hat: ein Zuhause. Vielleicht kann er sich nun selbst eine Heimat aufbauen.
  • RegieRonald Vietz
  • ProduktionDeutschland, Kuba
  • Dauer115 Minuten
  • GenreDrama
  • AltersfreigabeFSK 12
  • IMDb Rating6.1/10 () Stimmen

Filmkritik

Als im Jahr 2012 der Film „This Ain’t California“ in die deutschen Kinos kam, eine Mischung aus Dokumentar- und Spielfilm über die Skaterszene der DDR, echauffierte sich ein Teil der Filmkritik: Regisseur Marten Persiel verwische die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion auf problematische Weise. Dass das Werk ungeachtet seiner erzählerischen Freiheiten mehrfach als „bester Dokumentarfilm“ ausgezeichnet wurde, löste entsprechend puristisches Naserümpfen aus.

Einer der Produzenten des teilweise durch Crowdfunding finanzierten Werks war damals Ronald Vietz. Der gelernte Heizungsbauer und spätere Werbe- und Musikvideo-Filmproduzent, wie Marten Persiel in Ost-Berlin geboren und Teil der DDR-Skaterszene, wendet sich in seinem ebenfalls teils von der Crowd finanzierten Regiedebüt nun erneut einem Aspekt der DDR-Geschichte zu, der fast zu unglaublich klingt, um wahr zu sein: jener kleinen kubanischen Insel, die Fidel Castro 1972 symbolisch dem sozialistischen Bruderland schenkte und nach dem deutschen KPD-Politiker Ernst Thälmann benannte. Cayo Ernest Thaelmann, „Ernesto’s Island“.

Castro und Honecker einträchtig nebeneinander

Heute liegt die Insel im militärischen Sperrgebiet und ist für die Kubaner:innen selbst unzugänglich. Archivaufnahmen zeigen Castro und Honecker einträchtig nebeneinander, man sieht grobkörnige Feierlichkeiten auf feinem weißem Sand. Anders als „This Ain’t California“ macht dieser Film keinen Hehl aus der Gemachtheit seiner zusätzlichen nachgestellten Super-8-Bilder: Am Trabi in der vermeintlichen 1970er-Vergangenheit prangt sichtbar ein H-Kennzeichen der Gegenwart. Wie innig die Beziehung beider Länder war, unterstreichen wiederum Auftritte kubanischer Bands im Palast der Republik – verbürgt und wahr und schon damals Teil einer grandiosen Inszenierung.

Die Parallelen zu einem durchgentrifizierten Hackeschen Markt, der für Einheimische längst zum Sperrgebiet wurde, wie in „Ernesto’s Island“ mehrmals beiläufig deutlich wird, liegen also auf der Hand. Zugleich gibt sich der Film Mühe, den folgenden Roadtrip eines vom Leben gelangweilten Werbefuzzis mit Ost-Biografie auf Kuba ohne Überheblichkeit auskommen zu lassen. Was sind schon ignorante Rollkoffer-Touristinnen im eigenen Treppenhaus gegen anhaltende Reisebeschränkungen? Was sind seelenlose Fassaden gegen kaputte Wasserhähne? Was ist ein auskömmliches, aber unglückliches Singledasein gegen ein Leben in Armut, aber mit echtem sozialem Anschluss? Nichts!

Schon die ersten, aus dem Off mit Kalenderweisheiten kommentierten Sequenzen („Wir wachsen, wenn wir träumen, und wir verkümmern, wenn wir uns ablenken“) könnte man für touristische Berlin-Werbung oder Lifestyle-Coaching halten und fragt sich, ob das Ironie ist: Da umkreist die Kamera den Fernsehturm am Alex im goldvioletten Abendhimmel, und da sitzt der wohlsituierte Werbeprofi Matthias, gespielt von Max Riemelt, allein auf seiner riesigen, nur mit drei weißen Leuchtwürfeln bestückten Dachterrasse. Er genießt ordnungsgemäß die Aussicht und nippt übellaunig an seinem Whisky, der im Vintage-Kristallglas funkelt. Ein Abziehbild der Leere, über das sich Matthias’ bester Freund Sascha (Oliver Bröcker) bei einem Spontanbesuch lustig macht. Der weitgereiste, insgeheim depressive Kindheitsfreund, der ansonsten gentrifizierungskritisch seufzt, das sei nicht mehr sein Berlin, weiß, was Matthias und seiner Dachterrasse fehlt: „wat Lebendijet“.

Unwahrscheinlich gewordene Orte und Lebenskonzepte

Wie schon in „This Ain’t California“ treten auch in „Ernesto’s Island“ zwei unwahrscheinlich gewordene Orte und Lebenskonzepte zu einem schlaglichtartigen Abgleich gegen- oder miteinander an. Wieder schrieb Ira Wedel am Drehbuch mit, auch sie in Ost-Berlin sozialisiert. Das zu erwähnen ist nicht unwichtig, geht es doch um die Bedingungen eines Gefühls von Zuhausesein, um eine mit Räumen verknüpfte Identität, die längst als Marke ins kapitalistische Verwertungssystem eingespeist ist (nicht umsonst hieß Vietz’ Produktionsfirma zunächst „Wildfremd“, heute „Neue Heimat“). Matthias’ Chef wird ihm einmal auf die Mailbox sprechen, dass der Kunde „unbedingt einen Ossi haben“ wolle und er deshalb so schnell wie möglich zurückkommen solle.

Um die kommenden Vorhersehbarkeiten entfalten zu können, braucht es einen altbewährten Anlass. Matthias’ Mutter ist gestorben. Viel erfährt man nicht von ihr, der Film benötigt sie nur als dramaturgischen Anschub: Die einst lebenslustige Sozialistin hat verfügt, ihr Sohn möge ihre Asche am Strand von Ernesto’s Island verstreuen, wo sie vor vielen Jahren eine glückliche Zeit miteinander verbrachten. Sascha kommt die Aufgabe zu, seinem immer etwas schwer sich durchs Bild schiebenden Freund den nötigen Drall für den Aufbruch zu verpassen, eine unterkomplexe Rolle, die Oliver Bröcker aber mit Leben zu füllen weiß.

In den nachgestellten Super-8-Aufnahmen blitzen die Kindheitserinnerungen der beiden auf, oft nur sekundenkurze Flashbacks eines unbeschwerten Lebens der Strand- und Stadtausflüge, des behaglich chaotischen Kommunengewusels und des Lange-Aufbleiben-Dürfens. Der Film bleibt in der nostalgischen Wohlfühlzone, selbst wenn er andeutungsweise Rebellion und Restriktion erzählt, von gesellschaftlichen Utopien und den damit verbundenen, längst verschwundenen Orten.

Angerissene Aspekte verlaufen im Sande

Der Regisseur will also einerseits recht viel auf seine Insel packen, andererseits vermeidet er es, allzu politisch zu werden, was immer wieder dazu führt, dass angerissene Aspekte buchstäblich im Sande verlaufen. Eine lustlos-unplausible Affäre des Deutschen mit einer von ihm plump angebaggerten kubanischen Kellnerin (Marion Duranona) bricht ab, nachdem beide kurz und oberflächlich über „die Revolution“ stritten. Nebenbei geht es auch noch um die Rolle der kubanischen Musik in der DDR, wofür reale Musiker herangezogen werden, um als Weggefährten von Matthias’ angeblichem Vater herzuhalten, dessen ominöse Biografie ebenso schemenhaft bleibt wie dieses nur grob angedeutete Kapitel internationaler Musikgeschichte. Umso befremdlicher gerät die Filmmusik, ein dahinplätscherndes Klavier- und Gitarren-Geterze an der Grenze zur Entspannungs-Soundtapete.

Daniel Obradovic und Benjamin Raeder lassen die Kamera nicht umsonst so oft die Hauptfigur umkreisen: „Ernesto’s Island“ dreht sich trotz seines Flirts mit Mockumentary-Elementen letztlich ratlos um die simple Erfahrung, dass sich im Leben immer wieder das Falsche im Wahren breitmacht und dass dieses Gemisch dann eben die Wirklichkeit zu sein pflegt. Von solchen Widersprüchlichkeiten will der Film aber im Grunde gar nichts wissen. Er verharrt in der Befindlichkeit des hauptsächlich schlechtgelaunten Helden und propagiert dessen einzig denkbares Ziel: Wenn Matthias auf Kuba handwerklich mit anpackt, wenn ihm dabei wie auf einem sozialistischen Wandfries der Arbeiterschweiß von den Schläfen rinnt und sein Gastgeber zärtlich ein Kleinkind aus dem Kinderwagen hebt, umgeben von lächelnden Anverwandten, könnte das ebenso als Imagefilm für eine ökologisch-faire Heimatschollenpartei durchgehen, mit den Kernwerten Familie und Häuslebau.

Erschienen auf filmdienst.deErnesto‘s IslandVon: Cosima Lutz (16.5.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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