Szene aus Auf dem Weg
Filmplakat von Auf dem Weg

Auf dem Weg

92 min | Drama | FSK 6
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Nach einer durchzechten Nacht stürzt der Schriftsteller und Forscher Pierre (Jean Dujardin) mehrere Stockwerke in die Tiefe. Dabei zieht er sich dermaßen schwere Verletzungen zu, dass er in ein tiefes Koma fällt. Als er daraus plötzlich wieder erwacht, kann der Weg zurück ins Leben gar nicht schnell genug beschritten werden. Noch im Krankenbett liegend, schmiedet er große Pläne: Er will Frankreich zu Fuß durchqueren und dafür gut 1.300 Kilometer aus dem Nationalpark Mercantour in der südlichen Provence bis zur Halbinsel Cotentin ganz im Norden der Normandie laufen. Seine Ärzte sind davon alles andere als begeistert und raten Pierre mit Nachdruck davon ab. Doch der lässt sich nicht beirren und macht sich schon bald auf den Weg. Begleitet wird er dabei Abschnittsweise von seinem besten Freund Arnaud (Jonathan Zaccaï) sowie seiner kleinen Schwester Céline (Izïa Higelin). Aber auch alleine lässt er sich treiben, lernt fremde Menschen kennen und lernt dabei viel über das Leben.

Filmkritik

In einem Film, in dem ein Reiseschriftsteller zu einer Tour quer durch Frankreich aufbricht, von der Provence bis zur Normandie, darf man spektakuläre Bilder erwarten. Vereinzelt gibt es die bildgewaltigen Landschaftspanoramen der Bergketten im Sonnenaufgang auch. Oder von sich malerisch durch unverbaute Täler schlängelnden Flüssen. Doch oft sind in dem Spielfilm von Denis Imbert die Impressionen eher unspektakulär: Geröll, Schiefersteinbrüche, verwachsene Pfade, Waldwege, Wiesen, Felder. Das ist nichts Schlechtes, denn es sind schöne, wenngleich manchmal auch karg-schöne, simpel-schöne, stets aber lebendig atmende Bilder, die Magali Silvestre de Sacy mit ihrer Kamera einfängt.

Ein unbekanntes Parallelfrankreich

Und es ist das, was der von Jean Dujardin mit sprödem Charme verkörperte Protagonist frei nach der autobiografischen Romanvorlage „Auf versunkenen Wegen“ von Sylvain Tesson sucht: keinen Postkartenkitsch, keine touristische Highlights, selbst wenn Mont-Saint-Michel das Ende des Weges markiert, keine „Ahs“ und „Ohs“, sondern Waldeinsamkeit, ein Frankreich abseits des Asphalts, jenseits der Städte und Straßen, ein nur anhand altertümlicher Landkarten aufzuspürendes Parallelfrankreich, in das nachts kein künstliches Licht fällt und sich tagsüber kaum jemand verirrt.

Für Pierre sind diese „geheimen Pfade“ keine „Schleichwege“, sondern „Fluchtwege aus der Gegenwart“. So jedenfalls hält er es unterwegs in seinem Notizbüchlein fest. Dass es aber nicht nur der erbarmungslose Fortschritt ist, dem Pierre entflieht, sondern auch seine eigene Gegenwart, verraten die fragmentarisch eingestreuten Rückblenden, die ihn nach einem Sturz schwerverletzt und mit einer ungewissen Prognose im Krankenhaus zeigen. Während die Ärzte darüber spekulieren, ob er jemals wieder richtig gehen kann, plant Pierre bereits jene Wanderung, auf der er sich nun befindet. So ein Typ ist dieser Pierre auch: willensstark, bärbeißig und abenteuersüchtig, aber auch ein bisschen größenwahnsinnig.

„Manche Menschen“, philosophiert er in seinen Notizen, „wollten gern in die Geschichte eingehen. Einige von uns verloren sich lieber in der Geografie.“ Ein andermal zitiert er Napoleon, der zwei Arten von Menschen unterschieden habe: Menschen, die befehlen, und Menschen, die gehorchen. Als Pierre an diesem Tag aber seine „Strümpfe am schlammigen Bett des Var auswrang“, habe er erkannt, dass der französische Kaiser eine dritte Art vergessen habe: „Menschen, die fliehen.“ Doch auch bei denen handle es sich um Menschen, die befehlen, und zwar nicht weniger als ihrem Schicksal.

Im Flüsterton aus dem Off

Es ist die im Flüsterton aus dem Off vorgetragene, vom Pathos durchwehte Poesie, die mit den in wolkenverhangen-herbstliches Licht getauchten Landschaften und den sanft rieselnden Klavierklängen von Wouter Dewit dieser filmischen Reise eine melancholische Atmosphäre verleiht. Welche jäh von Erinnerungsscherben an ein alkoholverblendetes Bohème-Leben auf Autorenlesungen, Künstlerpartys und in Hotelbars durchschnitten wird. Alles Glamouröse geht jedoch mit einem Sturz zu Bruch. „Ich alterte auf acht Metern um fünfzig Jahre“, konstatiert Pierre hinterher. Seine Geliebte verlässt ihn noch am Krankenbett, weil sie weiß, dass er sonst sie verlassen würde, sobald er wieder gehen kann.

Das alles ist ganz schön dick aufgetragen; manchmal auch zu dick, etwa wenn Pierre angesichts der wenigen Millimeter, die ihn von einer Querschnittslähmung trennten, eine 9-Millimeter-Schusswaffe assoziiert, die er sich andernfalls in den Mund gesteckt hätte. Diese morbide Fantasie bleibt jedoch ein seltsamer Aussetzer, den die ruhige Erzählweise mit lyrischem Atem und lakonischem Humor bald wieder vergessen macht.

Auf dem Weg zu sich selbst

Am Ende sind es neben der eigentümlich zauberhaften Stimmung doch vor allem die Menschen, denen Pierre auf seiner Flucht vor sich und zu sich selbst begegnet, die in Erinnerung bleiben: die einsam-fröhliche Almkäse-Verkäuferin mit sehnsuchtsvollem Blick, der alte wehmütige Bauer, der als letzter noch da ist, ein kauziger, unverstellt ehrlicher Typ (Dylan Robert), der Pierre einige Tage lang begleitet, sowie Pierres kürzlich verstorbene Mutter. Einfache Menschen, unscheinbare Lebensläufe, verborgen irgendwo jenseits der Schlagzeilen auf 1300 beschwerlichen, erbaulichen Kilometern zwischen Provence und Normandie.

Erschienen auf filmdienst.deAuf dem WegVon: Stefan Volk (28.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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