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Shane

124 min | Dokumentarfilm, Musik | FSK 12
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Shane MacGowan ist nicht nur legendärer Frontmann der Band The Pogues, sondern dazu auch noch Poet, Rebell und Punk durch und durch. Wie bei vielen überaus talentierten Menschen neigt auch der begnadete Songwriter zur Selbstzerstörung. Einst zog er aus Irland nach London und mischte die dort gerade aufkeimende Punkbewegung mit irischem Folk auf. Mit seiner Musik schaffte Shane es, seinen Landsleuten in der Hochzeit des Nordirland-Konflikts eine Stimme zu geben. Trotz seines Rowdytums und der harten Schale, schuf er mit „Fairytale Of New York“ eines der meistgehörten Weihnachtslieder der Briten des 21. Jahrhunderts. Der Filmemacher Julien Temple setzt dem Punksänger anhand Archivaufnahmen und bisher unveröffentlichten Bildmaterial ein Denkmal.

Filmkritik

Tipperary im Süden Irlands ist ein grünes Paradies. „Hier konnte man die Farben hören“, erinnert sich der irische Punksänger Shane MacGowan, hier liegen auch seine Wurzeln. Die Familie beherrschten sein Onkel John und die frommen Tanten: „Altmodisch und streng republikanisch.“ Die Arbeit auf der Farm war hart, man pflügte, erntete und schlachtete Hühner. „Während sie starben, guckten sie wie abgefuckte Junkies“, erinnert sich der 1957 geborene Musiker. Es wurde viel getrunken und geraucht; mit fünf Jahren trank er sein erstes Bier, mit zehn hat er seinen ersten Whiskey-Vollrausch, so heftig, dass er die Tiere der Farm sprechen zu hören glaubte.

„Ich wurde von Gott dazu auserkoren, die irische Musik zu retten!“, ist MacGowan überzeugt, weil Gott nämlich Ire sei: „Ich wurde immer ganz high, wenn ich die Hostie aß.“ Schon mit vier Jahren sei er ein Fanatiker gewesen; seine Familie hätte bereits davon geträumt, dass er Priester werde. „Doch eines Tages las ich Marx. Das war der Tag, an dem ich meinen Glauben verlor. Ich wurde Atheist, und das machte mir große Angst!“

Hassliebe und Diaspora  

In einer charmanten Mischung aus Bescheidenheit und Großspurigkeit kommentiert Shane MacGowan die Stationen seines Lebens, und Regisseur Julien Temple liefert dazu durch die Vielfalt und die rhythmische Montage privater wie öffentlicher Archivbilder einen überzeugenden Hintergrund.

Die Familiengeschichte der MacGowans steht dabei im Kontext des jahrhundertelangen Kampfes der Iren um Unabhängigkeit; das ist das politische Umfeld, in dem der Sänger aufwächst.

Aber dann gab es auch noch ein anderes Leben. Seine Familie zog nach London, auf der Suche nach einem Platz in der britischen Mittelschicht. Shane fühlte sich damit nicht wohl. Trotzdem wurde er an der renommierten Westminster School aufgenommen, musste sie aber bald wieder verlassen, weil er mit Freunden einen florierenden Drogenhandel unter den Mitschülern aufgezogen hatte: „Wir besorgten den Kindern Speed für ihre Prüfungen. Einmal gaben wir einem irrtümlich Beruhigungsmittel. Das war lustig.“ Shane schnüffelte Klebstoff mit Freunden. Schnell kamen andere Drogen hinzu, Speed, LSD, Heroin. „Mit London hat mich immer eine Hassliebe verbunden.“ Sein einziger Lebenssinn in jenen Jahren lag in ausschweifenden Feiern. Bald musste er seinen ersten Entzug antreten.

Mit Kruzifix und Union Jack

Unter dem Namen Shane O’Hooligan schloss er sich der Punkbewegung an. Er propagierte katholischen Punk, trug ein Kruzifix um den Hals, aber auch die Lederjacke mit dem Union Jack, der britischen Fahne. Mit der Band „The Pogues“ etablierte er seinen eigenen Stil, eine Mischung aus Punk und irischer Folklore. 1987 gelang mit dem Weihnachtslied „Fairytale of New York“ ein großer Hit: „Die Pogues hätte es in Irland nicht gegeben“, sagt seine Schwester, „die brauchten die irische Diaspora.“

Das alles könnte eine Einwanderungsgeschichte mit Happy End sein, doch Shane MacGowan brach mit seinem Erfolg und verließ nach zahlreichen Drogenexzessen die Band. Massive Zweifel an seiner Arbeit verunsicherten ihn: „Wir machen das, was wir hassen und gegen was wir aufbegehren.“ Er wurde heroinsüchtig und paranoid, fing sich aber wieder und gründete eine neue Band, die musikalisch und politisch weit radikaler ist. Das Happy End kam fast beiläufig; MacGowan heiratete seine langjährige Mitarbeiterin Victoria Mary Clarke, und Freunde und Kollegen wie Nick Cave und Johnny Depp richten ihm zu seinem 60. Geburtstag am 25. Dezember 2017 ein rauschendes Konzert aus.

Musik und Zeitgeschichte

Shane MacGowan wirkt im Film oft abwesend und geradezu vergreist. Sein Markenzeichen waren lange seine schlechten Zähne; heute füllt Gold die Lücken. Geblieben sind die abstehenden Ohren und das verstrubbelte Haar sowie die gebrochene und doch ganz kräftige Stimme. Sein Charme kann urplötzlich in Desinteresse und Ablehnung umschlagen.

Es gelingt „Shane“ sehr gut, die Widersprüche und das Selbstzerstörerische seines Protagonisten einzufangen. Der Film ist aber mehr als eine Hommage an einen legendären Musiker. Julian Temple stellt seine musikalische Entwicklung mit einer überraschend breiten Mischung aus teils unbekannten Archivmaterialien, mit Fernsehinterviews und Amateuraufnahmen in einen zeitgenössischen Kontext. Zu Wort kommen Zeitzeugen wie der irischen Politiker Gerry Adams, Freunde und Familienangehörige. Manche Episoden, etwa Shanes erster Whiskey-Rausch, werden über Animationssequenzen erzählt.

„Shane“ ist mehr als die turbulente Biografie eines genialischen Musikers, eine rhythmisch montierte Zeitreise durch den irisch-britischen Konflikt und die Protestbewegungen der 1970er- und 1980er-Jahre, kurzweilig und auf unterhaltsame Weise lehrreich.

Erschienen auf filmdienst.deShaneVon: Wolfgang Hamdorf (30.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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