Szene aus Gasmann

Gasmann

87 min | Drama
  • Dauer87 Minuten
  • GenreDrama

Filmkritik

Bernd ist versackt. Irgendwo zwischen Teenager- und Erwachsenendasein, zwischen Ende zwanzig und Anfang dreißig, zwischen geplatzten Familienplänen und stotternder Schauspielkarriere. Ganz unten ist er freilich noch nicht: die Hauptrollen lassen auf sich warten, aber zumindest ein kärgliches Auskommen ist dank des festen Engagements am Theater gesichert. Im neuen Stück des bekannten Filmregisseurs Frank Winter (Peter Ott) soll Bernd dann auch mal die zweite Geige beziehungsweise den zweiten SS-Offizier spielen. „Der Gasmann“ heißt das Stück, das – so sieht es jedenfalls der Intendant – verspricht, ein kontroverser Hit zu werden; ein „Urereignis der deutschen Geschichte“ live auf der Bühne – schonungslos und authentisch.

Eine Losung, die an erster Stelle eitlen, pietätlosen Schwachsinn verspricht. Aber das begreift erstmal nur Bernd, der sich gegen den Widerstand des eigenen Körpers zu den Proben trägt und sich damit einer dem Stück entsprechenden Aneinanderreihung von absurden Regieeinfällen und noch absurderer Schauspielführung aussetzt. Der Regisseur spricht Sätze vor, fuchtelt Gesten in die Luft, karrt einen Bollerwagen als mobile Gaskammer heran und verlangt, dass die dazugehörigen Motorengeräusche mit den Lippen produziert werden. Große Kunst, für die „Der Untergang nur das Vorspiel war“, wie es der Jaguar fahrende Klischee-Regisseur ausdrückt, bevor er Bernd und seinem herablassenden Spielpartner je einen Scheinwerfer in die Hand drückt und sie auffordert, Runden um die Kamera zu drehen. Sie sind jetzt der Gaswagen.

Eine Kulturszene dreht sich um die eigenen Eitelkeiten

Das sinnlose Kreisen um sich selbst ist das Herzstück von Arne Körners Film, der mit wenig Scheu eine Kulturszene durch den Dreck zieht, die sich um die eigenen Eitelkeiten dreht, statt die eigene Geschichte einzukreisen. Die NS-Vergangenheit taugt besagter Szene nur als großer Reißer und allein dem britischen Nebendarsteller fällt auf, wie gut die Deutschen noch immer in ihren SS- und Wehrmachtsuniformen aussehen.

Die große Lust an der Persiflage oder überhaupt jegliche Lust ist aber schnell verflogen, wenn sich „Gasmann“ dem Privatleben seiner Protagonisten widmet. Nicht nur Bernds Leben scheint versandet zwischen der eigenen Rammdösigkeit, bewusster Verweigerungshaltung und gesellschaftlichen Zwängen. Auch der Freundeskreis, der sich vielleicht am ehesten als ein leicht angeschimmeltes Archetypen-Quintett aus nicht systemkonformen Lebenskünstlern und Hobbyliteraten beschreiben lässt, schafft es nicht, über den Stammtischrand hinauszublicken. Dietrich Kuhlbrodt mimt den intellektuellen Guru der Gruppe, zu der sich ein beim Boulevard-Blatt gestrandeter Schreiberling, ein Skulpturen fahrender Lebemann und ein Arbeitsloser als Omega-Tier gesellen. Fünf Geschichten, deren Ende im erzählerischen Nichts Körner bereits bei der ersten Zusammenkunft in der Kultkneipe „Zum Silbersack“ verdeutlicht.

Die Inszenierung kreist um die Leere im Leben

Besagtes Nichts ist zugleich der Kern der Inszenierung. Am schönsten sichtbar wird das durch Rafael Stachowiaks schauspielerische Leistung, einem körperlichen Hadern mit der Welt, mit dem er sich als Bernd durch die wiederkehrenden Stationen des Films schleppt, in denen alle Sinnentwürfe seines Lebens versickern. Das eigene Kultauto gurkt hin und her, sammelt, begleitet vom ständig an der Cellosaite kratzenden Soundtrack, hier den Sohn aus getrennter Beziehung und dort die neue Affäre ein, ohne je an- oder voranzukommen. Den Freunden geht es nicht besser: sie bleiben symbolträchtig vor den gewaltigen Baustellen von Hamburgs Hafen-City liegen, sitzen beim Bewerbungscoaching fest oder kommen gar nicht erst vom Frühstückstisch weg. Im fahlen Licht des Stammtischs, das stilecht auf 35mm eingefangen wird, versuchen die Versackten der Tristesse mit einer unerhörten Menge Zigarettenqualm wenigstens etwas Coolness einzuhauchen.

Eine Pose, in der sich der Film zu gut gefällt, um eben das Leben, das derweil den Bach runtergeht, wirklich vermissen zu können. „Gasmann“ wirkt bei den Ausflügen ins Persönliche nicht weniger lustlos als sein Protagonist. Sohn, Ex-Frau und Liebhaberin sind wie der Freundeskreis weniger Figuren als Stichwortgeber für ein festgefahrenes Endzwanziger-Leben. Abgesehen von den starken Meinungen beim Stammtisch-Diskurs, der mit Geschichts- und Luhmann-Bezügen serviert wird, hat hier niemand wirklich eine Agenda oder mehr beizutragen als seinen Part im Gesamtgefüge des Stillstands. Bernd und seine Freunde scheinen wie ein aus der Zeit gefallenes Kollektiv, sind aber letztlich eben auch nur die verdreckte Rückseite des seit einigen Jahren durch den deutschen Film geisternden Endzwanziger-Millennial-Entwurfs, der sich hartnäckig weigert, erwachsen zu werden.

Erschienen auf filmdienst.deGasmannVon: Karsten Munt (2.12.2021)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
Über Filmdienst.de Filmdienst.de, seit 1947 aktiv, bietet Filmkritiken, Hintergrundartikel und ein Filmlexikon zu neuen Kinofilmen aber auch Heimkino und Filmkultur. Ursprünglich eine Zeitschrift, ist es seit 2018 digital und wird von der Katholischen Filmkommission für Deutschland betrieben. filmdienst.de