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Filmkritik
Vorerst bleibt die Leinwand schwarz. „Ich verlasse dich“, verkündet eine weibliche Stimme per Sprachnachricht. Aufgelöst wirft sie dem Ex vor, er habe sie kleingemacht und zerstört. Aufblende. Ein Auge in einer extremen Nahaufnahme, die Äderchen durchziehen den Apfel wie die Nervatur ein Blatt. Ganz langsam fährt die Kamera zurück und offenbart: Das Auge ist das des kanadischen Popstars Abel Tesfaye aka The Weeknd, der eine Kunstversion seiner selbst spielt. Tesfaye flattert mit den Lippen, stellt sich vor einen Spiegel, in dem er dreifach zu sehen ist, hebt Hanteln. Er ist der Ex. Sein Kumpel und Manager Lee (Barry Keoghan) spricht ihm Mut zu. Es könnte das Vorspiel zu einem Boxkampf sein, doch Tesfaye tritt auf die Bühne in einen Konzertsaal voller Fans.
Das Auge, der Spiegel, die Vorwürfe, der Ausnahmezustand
Woanders fackelt Anima (Jenna Ortega) ein kleines Haus irgendwo auf dem Land ab und fährt dann zur Musik von The Weeknd mit einem Auto los. Dessen Album „Hurry Up Tomorrow“, das Anfang 2025 erschien, bildet das musikalische Skelett des zugehörigen Films, das die bewegten Bilder mal mehr, mal weniger verbindlich umspannen. Zu Synthesizer-Pop rotiert die Kamera im Wageninneren um die eigene Achse, dann setzt ein psychedelisches Farbspiel ein. Der Auftakt setzt wesentliche Motive. Das Auge, der Spiegel, die Vorwürfe, der Ausnahmezustand: Der musikalisch getriebene „Hurry Up Tomorrow“ spielt an der Schnittstelle von innen und außen, zeigt seine Figuren am Rande des Nervenzusammenbruchs, als Narzissten und Verlorene.
Mit seinem Debütfilm „Krisha“ (2015), dem postapokalyptischen Thriller „It Comes at Night“ (2017) und dem Drama „Waves“ (2019) hat Regisseur Trey Edward Shults bislang drei Filme gedreht, die alle auf ihre eigene Weise das Thema Familie verhandeln. Auch in seinem vierten Filmprojekt spielen die familiären Bande und Vorbelastungen eine Rolle. „Mom calls“ leuchtet dutzendfach auf Animas Smartphone-Display auf. Die verpassten Anrufe häufen sich, beim kurzen Telefonat ist die Mutter außer sich: „Du zerstörst alles, was du berührst!“ Diesmal sind die Familienbeziehungen aber ein Hintergrundrauschen. Im Vordergrund steht der Versuch, das manische Innenleben der Charaktere und ihre psychische Eskalation mit der Form zu verschmelzen. Das glückt teilweise, aber nicht durchgängig. „Hurry Up Tomorrow“ startet wie ein audiovisuelles Experiment, das Neugier weckt, versumpft zwischendurch in der Beliebigkeit und wird dann unversehens zum Psychothriller.
Puzzlestücke einer Story
Der Plot ist nachrangig, auch wenn das Drehbuch von Shults, Tesfaye und Reza Fahim eine Geschichte andeutet und zuletzt immer kohärenter ins Narrative abbiegt. Erst wird fast nichts gesprochen, dann stellen die Dialoge und Bilder die Puzzlestücke einer Story in den Raum. Die Frau, die am Anfang aus dem Off zu hören war, ist Tesfayes namenlose und nie in Person auftretende Ex-Geliebte (Riley Keough) – und nicht die von Jenna Ortega gespielte Anima, was anfänglich verwechselt werden kann. Tesfayes Schlaflosigkeit, sein Asthma und seine Stimmprobleme, das Kokain und der Alkohol sind einige der Stichpunkte, die die mentalen Zusammenbrüche der Figuren erklären könnten. Es geht um Liebeskummer und Einsamkeit: „Ich kann nicht mehr allein sein“, „Ich bin so verdammt allein“, „Ich falle auseinander ohne dich“. Und über allem schwebt die Frage: Was ist hier los?
Trey Edward Shults stellt die Form ins Zentrum. Die Symbiose des titelgebenden Musikalbums mit dem Bilderstrom, der atmosphärisch und mysteriös ist und immer im Fluss. Die rastlose Kamera steht auch mal Kopf, die Montage ist von Shults selbst arrangiert. Das Material gibt keinen klaren Faden vor und der Zusammenhang zur treibenden Musik ist nicht immer zwingend. „Hurry Up Tomorrow“ ist kein langes Musikvideo, sondern eine Assoziation. Manchmal setzt Shults die Schnitte im Takt der Beats, manchmal nicht. Reminiszenzen an Gaspar Noé und Stanley Kubrick blitzen auf, vor allem an „Shining“. Später landet der Film in einer Variation von Stephen Kings „Misery“.
Das klingt vielleicht spannender, als es über die gesamte Laufzeit ist. „Hurry Up Tomorrow“ hat packende Einzelmomente, überzeugt als Film aber nur eingeschränkt. Ohne die Musik bliebe wenig übrig; gerade im Mittelteil wirkt die Ereigniskette willkürlich. Das Geschehen bindet zu wenig. Dann gehen die Gedanken bisweilen stiften und fliegen aus dem Film heraus – was aber nur ein Qualitätsmerkmal wäre, würde es hinterher und nicht währenddessen passieren.
Alles um sie herum steht still
Als Tesfaye und Anima in einem magischen Moment aufeinandertreffen und alles um sie herum stillsteht, fragt man sich: Ist es eine Amour fou, sind es „Crazy People in Love“ – und gibt es das in Zeiten der „toxischen“ Beziehungsdiagnose überhaupt noch? Shults beantwortet die Frage platter als nötig und scheint seiner Vision zum Ende hin selbst nicht mehr über den Weg zu trauen. Stattdessen irritiert er das Publikum mit dem Vorschlaghammer und nagelt final die etwas triviale Erkenntnis fest, dass Abel Tesfaye um sein Leben singt.