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Filmkritik
Man begegnet der Schriftstellerin und Malerin Leonora Carrington (1917-2011) zunächst an einem Wendepunkt ihres Lebens. Oder jedenfalls konstruiert der Film eine Reise der von Olivia Vinall gespielten Künstlerin zum Skulpturengarten Las Pozas, den Edward James (Ryan Gage) in eine beeindruckende mexikanische Naturkulisse hineingebaut hat, als Wendepunkt. Wie der Film überhaupt jede einzelne Episode, die im Anschluss mehrheitlich als Teil einer langen Rückblende erzählt wird, als Wendepunkt konstruiert, als eine bedeutungsschwangere Wegmarke in einem Leben, das auf eine produktive Karriere hinausläuft, wenngleich – vermutlich aufgrund Carringtons Geschlechts – eher auf eine des Nachruhms.
Eine doppelte Emanzipation
Die Bilder von Carrington werden heute für sehr viel Geld gehandelt; der Kritik gefällt an ihnen vor allem die Verbindung von Techniken, die der Tradition der europäischen Avantgarde, insbesondere des Surrealismus, entstammen, mit indigen-mexikanischer Motivik. „Leonora“ legt nahe, dass dieser synkretistische Stil das Ergebnis einer gewissermaßen doppelten Emanzipation von ihrem Herkunftsmilieu ist. Carrington wurde in einer britischen Upper-Class-Familie geboren; die wenigen Filmszenen, die so weit zurückblicken, haben etwas Irreales. Versteinerter Reichtum und formalisierte Umgangsformen verschwimmen darin in dekorativer Unschärfe; mittendrin sieht man ein stilles kleines Mädchen, das von sprechenden Pferden träumt.
Zu den Pferden gesellen sich später Hyänen und Füchse. Doch anstatt Carringtons kreatives Schaffen direkt über ihre Bilder – oder auch die nicht wenigen Bücher – zu repräsentieren, entwerfen die Filmemacher Thor Klein und Lena Vurma ein kleines Bestiarium, das die Hauptfigur auf ihrem Lebensweg begleitet und dem ansonsten arg den Konventionen entsprechenden Film einen Hauch magischen Realismus beifügt. In der einen Szene, in der die Hyäne entschlossen zubeißen darf, ist freilich ein Schreibtisch zwischen den Blicken und dem blutdürstigen Tier platziert.
Im Umkreis der Surrealisten
„Leonora im Morgenlicht“ ist ein Film, der schon fast programmatisch keine Zähne zeigt. Am besten ist noch der Anfang. Aufrecht und aufmerksam bewegt sich darin eine Frau durch Mexiko, die auch in mittleren Jahren noch etwas von einem skeptischen Teenager hat. Der Film hält sich vorläufig mit aufdringlichen Wendungen zurück und lässt lieber sanft erahnen, wie Carrington sich langsam von diesem Land affizieren lässt, in dem sie zunächst wie ein Fremdkörper wirkt.
Sobald die Rückblenden einsetzen, ist es aber mit dem Erahnen vorbei. Auf einer Party der Pariser Surrealisten begegnet man Carrington zusammen mit Max Ernst. André Breton und Dalí huschen kurz durchs Bild, jemand hält eine Rede, in der er das Loblied der Frau singt - als Muse für das männliche Künstlergenie. Szenisch exemplifiziert wird der ästhetisch verbrämte Sexismus, dem auch die progressive Kunstszene allzu lange frönte, wenn Carrington und Ernst sich wenig später ins idyllische Südfrankreich zurückziehen, wo sie ihm lasziv Modell steht, währen er sich für ihre Kunst nicht allzu sehr interessiert.
Max Ernst wird von Alexander Scheer mit einer arg beflissenen Geschwätzigkeit verkörpert, die sich deutlich von der enigmatischeren Präsenz von Olivia Vinall in der Hauptrolle abhebt. Die Beziehung der beiden wird aber gar nicht so einseitig dargestellt; das beidseitige Begehren nimmt einigen Raum ein. Dass Max Ernst in Carringtons Leben als Mann wie als Künstler eine wichtige Rolle gespielt haben dürfte, wird durchaus nachvollziehbar. Zumindest bleibt in den Szenen mit Ernst noch ein Bewusstsein für die ambivalenten Kontexte erhalten, die künstlerisches Schaffen hervorbringen. Etwa, wenn sich die beiden Liebenden nackt auf einem Felsen sonnen und Carrington kurz zusammenzuckt, als sie bemerkt, dass sie von einem Dorfbewohner beobachtet werden; für den sind Ernst und Carrington vermutlich keine freigeistigen Genies, sondern sich unmoralisch zur Schau stellende Eindringlinge.
Die Kunst bleibt eine Leerstelle
Deutlich platter gerät eine Passage, in der es um Carringtons Aufenthalt in einer psychiatrischen Anstalt mitsamt Elektroschock-„Therapie“ geht. Voyeuristische Impulse und gediegene Inszenierung stehen sich gegenseitig im Weg, wenn die Künstlerin sich unter Stromschlägen windet; irgendwie, suggeriert der Film, wird auch dieses Martyrium in Carringtons künstlerisches Schaffen eingeflossen sein. Aber wie genau? Spätestens in diesen Szenen verliert sich „Leonora“ in einer episodischen Struktur und in Allgemeinplätzen über das Verhältnis von Leben und Kunst, die nicht durch den Einsatz filmischer Mittel, sondern nur durch den realweltlichen Erfolg der Künstlerin beglaubigt werden.