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Filmplakat von Maestro

Maestro

124 min | Drama, Musik, Lovestory | FSK 12
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Der 28-jährige Jungkomponist Leonard Bernstein (Bradley Cooper) lernt Felicia Montealegre (Carey Mulligan) auf einer Party kennen. Die grazile und interessante Frau verzaubert fortan sein Leben. Monat für Monat wächst die Zuneigung zueinander, doch eigentlich trägt Bernstein ein tiefes Geheimnis mit sich herum. Erst nachdem beide geheiratet haben, kommt Felicia dahinter, dass ihr Ehemann homosexuell ist und diese Sehnsüchte heimlich auslebt. Sie behält das Geheimnis jedoch, da ihr Mann inzwischen als einer der größten Komponisten und Dirigenten aller Zeiten gilt, aber auch um die drei Kinder nicht zu belasten. Die einsamen Nächte und die Vertiefung ihres Mannes in die Musik verlangt ihr jedoch alles ab. Ihre Beziehung, in der bald schon beide außerehelichen Affären haben, wird dadurch immer wieder auf die Probe gestellt, bis Felicia, aber auch Leonard nach und nach daran zugrunde gehen.

Filmkritik

Schon zu Beginn, in der zweiten Szene des über Rückblicke erzählten Films, erhält der junge, noch unbekannte Dirigent Leonard Bernstein einen Anruf. Es ist der 14. November 1943, an dem der erst 25-jährige Bernstein aufgefordert wird, für den erkrankten Dirigenten Bruno Walter einzuspringen. Ohne eine einzige Orchesterprobe erlebt er sein Debüt als Dirigent der New Yorker Philharmoniker, das zu einem Triumph und zum Beginn von Bernsteins Weltkarriere wird. „Maestro“ zeigt diesen Moment in Schwarz-weiß. Der Raum ist dunkel, Bernstein zündet sich am Telefon eine Zigarette an, dann öffnet er den Vorhang wie zu einer Bühne, auf der man einen anonymen Männerkörper im Bett liegen sieht – womit das Leitthema des Films, Bernsteins Sexualität, gesetzt ist –, und erst als Bernstein die Nachricht verstanden hat, nimmt auch die Kamera Tempo auf, begleitet ihn im Laufschritt beim Ankleiden und schwenkt mit ihm und seinen in die Höhe gerissenen Armen quasi fliegend in einer ununterbrochenen Sequenz fast direkt bis aufs Dirigenten-Pult.

Die Pflichtaufgaben eines Bio-Pics

Ein anderes Mal zeigt der Film eine Tanzprobe: das Matrosen-Ballett aus Bernsteins erstem Musical „On the Town“. Einer der Tänzer scheint mit ihm zu flirten. Plötzlich ist Bernstein selbst inmitten der Tänzer und tanzt für seine zukünftige Frau Felicia Cohn Montealegre. Das ist Darstellung und Kommentar zugleich. Es zeigt Bernstein als Teil einer sexuell aufgeladenen Männergruppe mit homophilen Untertönen, und Felicia Cohn als die, die umworben und angeflirtet wird, aber zugleich vom eigentlichen Geschehen ausgeschlossenen und auf die Beobachterposition zurückgeworfen ist.

Stilistisch sind diese Handvoll hyperrealistischer, die Faktenwirklichkeit überschreitender Momente des nur durch die Kamera hergestellten Übergangs zwischen den Welten die besten Szenen des Films. Zugleich aber durchzieht sie ein Hauch von Pose. Sie wollen dem Publikum etwas zu kühl kalkuliert durch Überwältigung signalisieren, dass sich hier Bedeutungsvolles und ästhetisch Gewagtes vollzieht. Ansonsten ist „Maestro“ zwar ein sehr guter, aber auch konventioneller Film, der die Pflichtaufgaben eines typischen Hollywood-Biopic geradlinig abarbeitet.

In gewisser Weise ist „Maestro“ das, was Hollywood heute ist und kann. Eine mit großer handwerklicher Könnerschaft und Virtuosität inszenierte Selbstfeier des liberalen Teils der USA und des American Dreams, stilistisch aber zugleich stockkonservativ und intellektuell unterfordernd. Ein politisch korrekter Film also, der manchmal ein bisschen schamhaft und fast ängstlich seine eigene Courage negiert und vor den Abgründen des Themas zurückschreckt.

Das Porträt eines Ehemanns

Dieses Thema von „Maestro“ ist nicht, wie man es vielleicht von einem Biopic über Leonard Bernstein (1918-1990) erwarten würde, das Porträt eines genialen Komponisten, der zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts gehört. „Maestro“ ignoriert auch komplett den politischen Aktivisten und Unterstützer liberaler Anliegen, ebenso wie den kaum zu überschätzenden Pädagogen der „Young People’s Concerts“. Sondern es ist das Porträt eines Ehemanns, der nebenbei offenbar auch irgendetwas mit Musik zu tun hat und darin offenbar ganz erfolgreich ist. Wer nicht weiß, wer Leonard Bernstein war, erfährt es in diesem Film nur höchst fragmentarisch.

Stattdessen erlebt man einen Menschen, der seine Frau sehr liebt und trotzdem auch mit Männern Sex hat. Und dem diese Bisexualität auch kein großes seelisches Problem bereitet, ebenso wenig wie lange Zeit auch seiner Gattin. Gefürchtet hat dieser „Maestro“-Bernstein nur die Frage: Wie sag’ ich’s meinen Kindern? Das ist, gemessen am Gegenstand, den bekannten Fakten des Lebens und der Persönlichkeit von Bernstein und seiner Frau Felicia Montealegre, aber enttäuschend wenig. Denn man weiß, dass es ein eheliches Arrangement zwischen den beiden gab, und man weiß auch, dass Bernstein, der auch Affären mit anderen Frauen hatte (die der Film ausspart), mit seiner Homosexualität lange gehadert hat, ja, dass er sich durch eine Psychotherapie davon sogar zu „heilen“ versuchte, bevor er sie ab den 1970er-Jahren immer öffentlicher auslebte.

Von alldem erfährt man in „Maestro“ aber nichts. Stattdessen lässt sich der Film sehr viel Zeit damit, die aufkeimende Liebe und die Verlobungsphase des Paares zu zeigen – in der das Thema der Männerliebe völlig abwesend bleibt –, und Bernstein vor malerischen Kulissen und in nostalgischen Cabrios in Szene zu setzen. Ab und zu muss er auch arbeiten; dann dirigiert er, wird umjubelt und wirft der an der Seite stehenden Felicia verliebte Blicke zu.

Ein atmosphärisch-nostalgischer Ton

Nach einem Zeitsprung sind beide plötzlich verheiratet, haben zwei Kinder, geben Interviews. Das Eheleben wird etwas routinierter und weniger leidenschaftlich gestreift, ansonsten hat sich wenig verändert. Irgendwann wechselt der Film auch ins warme, nostalgische Flair der späten Technicolor-Farben, wohl um den Erinnerungen des Publikums zu entsprechen.

Erst das letzte Drittel des Films bringt nach einem weiteren Zeitsprung in die 1970er-Jahre eine neue Tonlage und einen Hauch von „Problemfilm“ in den Alltag der Bernsteins. Denn der Gatte knutscht immer schamloser mit begabten Musikerknaben, die Gattin leidet hingegen mehr unter dem fehlenden Anstand seines Verhaltens als unter der Sache selbst. Und die älteste Tochter ist 1968er-bewegt und hat „Gerüchte“ vernommen, die der Vater durch eine Lüge entkräftet, unter der er fortan leidet. Irgendwann erkrankt Felicia dann an Krebs, woraufhin Leonard alle Konzerte und außerehelichen Eskapaden absagt und seine Frau aufopferungsvoll bis zu ihrem Tode pflegt.

Die finalen Szenen des Films zeigen Bernstein, der die Trauer um die verstorbene Gattin in viel Arbeit und kaum weniger Liebesabenteuern und Drogen ertränkte, um ganz zum Schluss über das Bild von Felicia noch einmal den Filmtitel einzublenden: „Maestro“. Was eine zweischneidige inszenatorische Entscheidung ist, da sie den Eindruck bestätigt, dass Felicia die eigentliche Hauptfigur des Films ist, was allerdings zugleich auch das abgedroschene Klischee evoziert, dass hinter jedem erfolgreichen Mann eine starke Frau stehe, was zuvor ja mindestens problematisiert wurde. Denn wenn Felicia Montealegre die heimliche Hauptfigur sein sollte, so ist sie das nicht als die Schauspielerin, die sie einmal war, sondern als Ehefrau und Mutter. Ein zutiefst patriarchalischer Blick. Trotzdem muss bei allem Respekt für Felicia Cohn Montealegre, die auch als Schauspielerin am Broadway und später im Fernsehen reüssierte, gefragt werden, ob sie wirklich interessanter ist als der weltberühmte Dirigent. Wenn man nichts über Bernstein und seine Musik wüsste, wären auch seine Frau und seine privaten Affären kaum von Interesse.

So kurzweilig wie formelhaft

Dennoch ist „Maestro“ ein kurzweiliger, unterhaltsamer, gut gemachter Film über eine schwierige, letztlich aber glückliche und respektvolle Beziehung. Besonders hervorzuheben sind die Bildgestaltung von Matthew Libatique und die darstellerische Leistung von Carey Mulligan in der Rolle von Felicia Montealegre. Mulligan ist perfekt, jederzeit ehrlich und authentisch, während man andere durchaus manieriert finden kann. Bradley Cooper, der neben der Regie und dem Drehbuch auch die Hauptrolle übernommen hat, spielt gut, aber sehr stark über Mimikry, Merkmale und Äußerlichkeiten – von außen nach innen.

Regie und Buch sind insgesamt zu wenig an ihrem Gegenstand interessiert, daran, wer Bernstein als Charakter war und wie er mit den Widersprüchen seines Lebens umgegangen ist; gezeigt wird nur deren öffentliches Überspielen. Gelegentlich spielt „Maestro“ zwar mit Abstraktionen und der Überschreitung der naturalistischen Wirklichkeit, schreckt aber immer wieder vor der eigenen Chuzpe zurück. Alles bleibt formelhaft und sentimental, zugeschnitten auf vermeintliche Erfolgsrezepte für die Mitglieder der „Oscar“-Academy. Da war das Marilyn-Monroe-Biopic „Blonde“ (2022) schon einen großen Schritt voraus.

Erschienen auf filmdienst.deMaestroVon: Rüdiger Suchsland (12.12.2023)
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