Szene aus Meine Wunderkammern
Filmplakat von Meine Wunderkammern

Meine Wunderkammern

79 min | Dokumentarfilm, Familie
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Szene 3 aus Meine Wunderkammern
Wisdom (11), ein Junge mit kamerunischem Erbe, Joline (12), das Mädchen das niemals erwachsen werden will, Elias (14), der auf seinem eigenen Planeten lebt und Roya (12), die vor fünf Jahren aus dem Iran gekommen ist, nehmen uns mit in ihre Welt und zeigen uns ihre Geheimnisse und Wünsche. Es ist eine abenteuerliche Reise über Freundschaft, Zugehörigkeit und Liebe, aber auch über Angst, Ausgrenzung und Erwartungsdruck. Wir schauen in die Köpfe und die Herzen der Kinder und entdecken neue Planeten, Wut, Katzenmenschen und blauglänzende Krabbelkäfer und reisen mit ihnen an einen fantastischen Ort, an dem sie unbeschwert sie selbst sein dürfen.

Filmkritik

Der dokumentarisch geprägte Film von Susanne Kim porträtiert vier Kinder im Alter zwischen elf und 14 Jahren, die sich mehr als viele Gleichaltrige in ihrer eigenen Welt eingerichtet haben. Die zwölfjährige Roya ist vor fünf Jahren mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland gekommen und immer noch dabei, ihre Fluchterfahrungen zu verarbeiten. Sie liebt romantische Filme und träumt manchmal davon, sich in eine Meerjungfrau zu verwandeln, sobald sie mit Wasser in Berührung kommt.

Mit einem Floß nach Afrika

Elias ist 14 Jahre alt und tut sich in der Schule mit dem Lernen schwer. Er wurde gemobbt und hat keine Freunde. Er begeistert sich aber für die Fotografie und moderne Technologie. Er sammelt Ventilatoren und bewohnt in seinem Kopf oftmals einen eigenen Planeten, auf dem er Katzen, Katzenmenschen und Meerschweinchen trifft.

Der elfjährige Wisdom fühlt sich als Kind einer Familie, die aus Kamerun nach Deutschland auswanderte, oft ausgegrenzt. Aus Wut über rassistische Beschimpfungen wurde er in der Vergangenheit oft aggressiv; deshalb versucht er, solche Impulse mit einer „Wut-Box“ zu kontrollieren. In seinen Träumen reist er manchmal mit einem Floß nach Afrika, um den Geist seines Urgroßvaters zu treffen, der als tapferer Löwenkämpfer Ruhm erlangte.

Die zwölfjährige Joline wirkt viel jünger und ist noch recht verspielt. Sie leidet unter einer Leseschwäche und fühlt sich in der Schule durch die Erwartungen ihrer Umgebung häufig unter Druck gesetzt. Außerdem möchte sie gar nicht erwachsen sein. Gleichzeitig aber gibt es den Wunsch, Kurzfilmregisseurin zu werden.

An einem geheimnisvollen Ort

Allen vier Kindern ist gemeinsam, dass sie nicht so richtig in unsere Lebenswelt passen, die von einem ständigen Funktionierenmüssen bestimmt wird; sie wären viel lieber an einem Ort, wo ihnen niemand vorschreibt, was sie tun oder lassen sollen. Dort gestalten sie eine Welt ohne Mobbing, Missgunst, Hass, Rassismus, Furcht und Verfolgung, dafür aber mit viel Fantasie, Tieren, bunten Farben, Geborgenheit und Heiterkeit.

Auf wunderbare Weise verlassen die vier schließlich das Hier und Jetzt und treffen sich an einem geheimen Ort wieder, der für Erwachsene unzugänglich ist. Als ihr Verschwinden auffällt, begibt sich die zehnjährige Doro auf die Suche nach ihnen. Doro fungiert dabei nicht nur als Off-Erzählerin, sondern begegnet auf der Suche ratlosen Erwachsenen wie der Bundeskanzlerin Merkel oder einer medizinischen Expertin für Meerschweinchen. Eines Nachts findet das Mädchen das Versteck: ein Zeltlager mit einer Art Wunderkammer. Hier entwickelt das Quartett mit anderen Kindern eigene Spiele und gemeinsame Regeln.

Ein partizipativer Ansatz

Die in Dresden geborene Drehbuchautorin und Regisseurin Susanne Kim, die seit 2003 mehrere kurze und lange Dokumentarfilme realisiert hat, verfolgt einen konsequent partizipativen Ansatz. Kinder sind in „Meine Wunderkammern“ nicht nur Gegenstand der Beobachtung, sondern wirken an der Gestaltung des Films wesentlich mit. Sie bringen ihre Ideen, Wünsche und Träume ein, schreiben und interpretieren Liedertexte und wählen die Requisiten aus, mit denen sie ihre utopischen Träume und Wunschwelten ausstatten, egal, ob es nun blaue Leuchtkäfer, Diamantbaumhäuser oder eine mobile Sprachbox namens Rosa sind.

Die Textideen zu den Songs entwickelten die Kinder in einem Musikworkshop, in dem sie auch Geräusche für das Sounddesign sammelten. Die Lieder wurden dann von professionellen Musikern weiterentwickelt. Oft enthalten die schwungvollen Songs Verse, die das Selbstbewusstsein stärken oder Mut machen, etwa „Du bist nicht komisch oder anders, du bist einzigartig, zeig das!“

„Meine Wunderkammern“ ist kein lupenreiner Dokumentarfilm. Im Zuge der Partizipation räumt die Regisseurin den jungen Protagonisten auch die Möglichkeit ein, sich selbst in Szene zu setzen, wobei die agile Handkamera nahe an den Kindern bleibt. Zu ihrer Motivation sagt Kim: „Ich will, dass die Kinder, mit denen wir das Projekt entwickelt haben, anderen Kindern ihre Innenwelten zeigen können. Sie sollen dabei aber nicht wie Sonderlinge wirken, sondern als die starken Persönlichkeiten, die sie sind.“

Übermut und Unfug kommen nicht zu kurz

Da die Regie bei den inszenierten Sequenzen allen Beteiligten viel Spielraum für Improvisationen ließ, wirken einige von ihnen etwas ungelenk oder allzu verspielt. Dann stolpern die blauen Insektenfiguren eben ohne Plan auf Erdhaufen herum oder gleitet Roya im Kostüm einer Meeresjungfrau nicht nur durchs Schwimmbecken, sondern chillt auch auf einer Schaukel. Übermut und Unfug kommen auch nicht zu kurz, etwa wenn Wisdom und sein Bruder Stinkbomben werfen.

Die dokumentarischen Beobachtungen, aber auch die inszenierten Abschnitte sind häufig um animierte Zeichnungen von Franziska Junge ergänzt, die mit ihrer charmanten Unbeschwertheit poetische Akzente setzen und die collagenartige Struktur des Films unterstreichen.

Zu dem Film wurde auch eine VR-Anwendung produziert, mit der weitere „Wunderkammern“ aus dem Leben der vier Protagonisten virtuell erkundet werden können.

Erschienen auf filmdienst.deMeine WunderkammernVon: Reinhard Kleber (20.10.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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