Szene aus PORNOMELANCHOLÍA
Filmplakat von PORNOMELANCHOLÍA

PORNOMELANCHOLÍA

81 min | Drama
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Lalo ist ein Sex-Influencer: Er postet Fotos seines nackten Körpers und selbstgedrehte Pornovideos für seine Tausende von Follower:innen in den sozialen Medien. Er hat sein eigenes Leben im Griff, aber privat, wenn er sich nicht benimmt, scheint er in ständiger Melancholie zu leben. Wohin geht das eigene Begehren, wenn sich das Leben in eine Sexshow verwandelt? Pornomelancholia nimmt den Porno als Ausgangspunkt, um über die Beziehung zwischen Sexualität und Arbeit nachzudenken, über das Leben in der Öffentlichkeit und das Gefühl der Einsamkeit, über die Figuren, die wir um uns herum aufbauen, um uns der Welt zu zeigen (oder vor ihr zu verstecken).

Filmkritik

Lalo (Lalo Santos) ist Anfang dreißig und sieht gut aus. Mit seinen kurzen schwarzen Haaren und dem Schnurrbart erinnert er an Freddie Mercury. Offiziell arbeitet er in einer Metallfabrik in Oaxaca; im Internet verdingt er sich aber als schwuler Sex-Influencer. Darin postet er Nacktfotos von sich; mal posiert er mit einer Lucha-Libre-Maske, mal hält er sein unmaskiertes Gesicht in die Kamera. Er stellt auch Videos ins Netz, die ihn beim Sex mit wechselnden Partnern zeigen. Regelmäßig wird Lalo bei seiner Ärztin vorstellig, denn er ist HIV-positiv und muss seine Blutwerte untersuchen lassen. Die Behandlung schlägt an; seine Viruslast liegt unter der Nachweisgrenze.

Ein schwuler Zapata-Porno

Privat läuft es für Lalo allerdings weniger gut. Er lebt in keiner Beziehung, hat anonymen Sex in schwulen Bars und offenbar kaum Freunde. Auch seine Mutter, der er regelmäßig auf Band spricht, meldet sich nicht bei ihm zurück. Ob er mit ihr überhaupt noch in Kontakt steht, bleibt offen. Da Lalo in der Fabrik schlecht verdient und seine Besuche beim Arzt als Arbeitsausfall gewertet werden, spricht er beim Casting eines schwulen Pornofilms über den mexikanischen Revolutionär Emiliano Zapata vor – und wird genommen. Dem Regisseur des Films geht es um eine Neuinterpretation der historischen Figur, die explizit von dessen homosexuellen Affären erzählt.

Die Dreharbeiten sind für Lalo anfangs eine willkommene Abwechslung. Er versteht sich gut mit seinen Co-Akteuren, muss sich nicht verstecken und kann offen über sich und seine Krankheit sprechen. Doch gegen Ende des Drehs wird der Druck stärker. Die Produzenten nehmen immer weniger Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Darsteller, wodurch sich bei Lalo ein gewisser Überdruss einstellt. Zwar kann er danach auf seinem Influencer-Account mehr Follower gewinnen und nimmt damit Geld ein. Doch mental geht es ihm immer schlechter. Man sieht ihn kaum noch lächeln. Er ist es leid, immer nur als Sexobjekt angesehen zu werden.

Über den Hintergrund des Protagonisten erfährt man nicht viel. Einmal wird seine Jugend als Aneinanderreihung von Fotos – vom Säugling bis zum Schulabgänger – gezeigt. Doch viel mehr verrät der Film nicht über ihn. Lalo erklärt sich nicht; er lebt im Jetzt, von einem Tag zum anderen. Sein Leben verläuft einigermaßen monoton zwischen Arbeit, Besuchen in Clubs oder dem Fitnessstudio und seinen Internet-Postings. Nur die Dreharbeiten scheinen seine tägliche Monotonie für eine Weile aufzuhellen. Doch auch hier stellt sich bald eine Desillusionierung ein. Lalo erfindet den Terminus „Pornomelancolía“, der auf seine Beschäftigung und seine Gemütsverfassung gleichzeitig anspielt.

Das Smartphone als treuester Begleiter

Der Film des argentinischen Regisseurs Manuel Abramovich setzt keine dramatischen Akzente. Er verzichtet auf Musik und konzentriert sich ganz auf den Protagonisten. Die Grenzen zwischen Spiel- und Dokumentarfilm verschmelzen genauso wie im Leben des Protagonisten, der private Handlungen meist für seine Arbeit als Sex-Influencer nutzt. Intimität gibt es für Lalo nicht; stets steht er unter Beobachtung der Follower aus aller Welt, die ihm erotische Nachrichten schicken, ihn bewundern oder zum Sexobjekt degradieren, aber fast immer virtuell bleiben. Nachts liegt er allein im Bett und scrollt die Nachrichten in seinem Handy rauf und runter. Der Bildschirm seines wichtigsten Kommunikationsmittels ist ständig in Großaufnahme zu sehen. So erscheint das Smartphone als gleichberechtigter Protagonist und als Lalos treuester, wenn auch abhängig machender Begleiter.

Diese Existenz in einer unpersönlichen Sphäre, die vor allem auf den Schein setzt, hinterlässt Spuren. So sieht man Lalo allein in einer Bar sitzen; kurz darauf postet er einen Beitrag und täuscht darin gute Laune und eine tolle Party vor. Die Aneinanderreihung von Postings und Sexszenen (die nie pornografisch sind) wirken auf Dauer aber repetitiv. Ein erzählerischer Nebenstrang oder ein wenig mehr Hintergrund über Lalos Leben hätten dem Film gutgetan. Man empfindet zwar mit Lalo mit und kann durchaus nachvollziehen, wie einsam ein Leben ohne feste Bindungen und ohne eine sinnhafte Beschäftigung macht.

Ein charismatischer Darsteller

Doch Lalo äußert sich selten explizit zu seinen mentalen Leiden. Seine Figur erfährt kaum eine Entwicklung. In Lalo Santos hat der Film aber einen charismatischen Darsteller, über dessen Figur man einiges über eine Welt erfährt, in der die ständige Vermarktung von Sex und der Mangel an Privatsphäre durch die sozialen Medien verschärft werden.

Erschienen auf filmdienst.dePORNOMELANCHOLÍAVon: Kira Taszman (15.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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