Szene aus Mit Eigenen Augen
Filmplakat von Mit Eigenen Augen

Mit Eigenen Augen

115 min | Dokumentarfilm
Ein packender Blick in die Redaktionsarbeit von MONITOR. Das im WDR produzierte, vielfach ausgezeichnete ARD-Politikmagazin ist seit 1965 für kritischen und investigativen Journalismus bekannt. Regisseur Miguel Müller-Frank beobachtet die Diskussionen und Recherchen in den WDR-Räumen konzentriert und hautnah.
  • RegieMiguel Müller-Frank
  • ProduktionDeutschland
  • Dauer115 Minuten
  • GenreDokumentarfilm

Filmkritik

Nachdem es vor gar nicht langer Zeit überraschend vergönnt war, mittels „BILD. Macht. Deutschland?“ einen Blick in den damals noch vom hemdsärmeligen Julian Reichelt illuminierten Redaktionsalltag der BILD-Zeitung zu werfen, wo publizistische Macht unverhohlen mit politischer Agenda verknüpft ist, führt nun „Mit eigenen Augen“ in das vermeintlich seriösere Terrain des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. „Monitor“ ist eines von mehreren Polit-Magazinen der ARD, das immerhin auf eine Geschichte zurückblicken kann, die bis 1965 reicht.

„Monitor“ steht für einen betont seriösen, auf Teamplayer setzenden, gleichwohl aber männlich dominierten Investigativ-Journalismus, der nicht auf schnelle Sensation und Kriegsreporter-Mentalität aus ist. Im Wechsel mit den anderen Magazinen wird „Monitor“ aktuell alle drei Wochen ausgestrahlt.

In provozierender „Fly on the Wall“-Manier

Der Dokumentarist Miguel Müller-Frank und die Kamerafrau Laura Emma Hansen erhielten die Gelegenheit, die Arbeit der Redaktion einige Wochen zu begleiten. Sie haben sich für eine asketische, fast schon provozierende „Fly on the Wall“-Variante in der Tradition des „direct cinema“ entschieden. Formal streng erzählt der Film von den 19 Arbeitstagen in der Redaktion, die zwischen dem Schluss einer Sendung und dem nächsten Termin liegen. Der Redaktionsalltag gestaltet sich wenig aufregend und spektakulär zwischen Internet-Recherche, Telefonaten, Smalltalk („Wie war der Urlaub?“) und regelmäßigen Redaktionskonferenzen. Größter Wert wird dabei darauf gelegt, dass jede Information, jede Quelle gegengecheckt wird und damit absolut wasserdicht ist.

Die Kamera von „Mit eigenen Augen“ verlässt dabei nie die Redaktionsräume. Dass eine Außenwelt überhaupt existiert, müssen Blicke aus dem Fenster weisen. Spannend wäre es sicher auch gewesen, eine unspektakuläre Arbeitsphase zu dokumentieren, doch Müller-Frank hatte das „Glück“, dass etwas Spektakuläres passierte. Es ist der Sommer 2019, als gedreht wird. Gerade ist in Kassel Walter Lübcke ermordet worden. Die Ermittler gehen zunächst von der Einzeltäter-Hypothese aus. Der mittlerweile verurteilte Täter Stephan E. verfügte zwar über einschlägige Verbindungen in die rechtsradikale Szene, aber die lagen laut Ermittlungsbehörden Jahre zurück.

Auch die „Monitor“-Redaktion ist an dem Fall dran; sie hat ein Foto, das Stephan E. erst kürzlich auf einem Treffen von Rechtsextremisten zeigt. Doch ist das überhaupt Stephan E.? Ist Stephan E. ein Schläfer gewesen? Wer sind die anderen Männer, die auf dem Foto zu sehen sind? Recherchearbeit. Ein Gutachten muss her. Zeugen müssen gesucht und befragt werden.

Es existiert ein Pool von Themen, die in Arbeit sind. Manche, wie im Mordfall Lübcke, sind sehr aktuell. Andere, wie beispielsweise das Greenwashing von Fluggesellschaften, sind Manövriermasse. Auch muss gedreht werden, um über sendefähiges Material zu verfügen. Der zweite große Fall, an dem die Redaktion dran ist, gilt einem sexuellen Missbrauch in einer Klinik. Aus Gründen des Renommees wurde der Kinderarzt von der Klinikleitung nach außen gedeckt; die Eltern der betroffenen Kinder nicht gewarnt.

Leidenschaftlich leidenschaftslos

Die Alltagsroutine bei „Monitor“ läuft derart konzentriert und professionell ab, dass sie mit Routine verwechselt werden könnte. Hier wartet kein Informant in einer Tiefgarage, um die entscheidenden Hinweise zu geben. Hier wird telefoniert, im Internet recherchiert, werden Fakten zusammengetragen. Mitunter schleicht sich allerdings dann doch ein anderes Journalismus-Verständnis ein, wenn der Off-Kommentar einer Außensicht der in Rede stehenden Klinik lautet: „Was geschah hinter diesen Mauern?“ Oder wenn die „Monitor“-Redaktion mit dem begutachteten Nazitreffen-Foto über eine kleine Sensation verfügt, die sie plötzlich in Konkurrenz zum „Spiegel“ verortet. Jetzt nicht bis zur nächsten Sendung warten, sondern gleich eine Presseerklärung publizieren, die vielleicht dazu führt, dass „Monitor“ zum Thema in den „Tagesthemen“ wird.

Das ist, zumal in Zeiten von „Fake News“, gut und schön und seriös und auf eine leidenschaftslose Art und Weise leidenschaftlich, aber doch deutlich weniger abenteuerlich und sexy als die Arbeit bei „BILD“, wo man sich immerhin noch einbilden kann, Geschichte zu schreiben.

Wenn „Mit eigenen Augen“ vorbei ist, geht es gleich zur nächsten Ausgabe von „Monitor“. Zwei Skandale wurden versendet. Nächstes Thema. Routine. Nach der Sendung ist vor der Sendung.

Was noch in Erinnerung bleibt: Nach der Ausstrahlung der Sendung geht der Blick gleich wieder ins Netz, wo Feedback eintrudelt. Ein Thema kam ganz gut an, ein anderes eher nicht, weil das Thema Migration zuverlässig die rechte Öffentlichkeit mobilisierte. „Das Übliche“, kommentiert Moderator und Redaktionsleiter Georg Restle. Alles nur ein Spiel? Passend dazu die „Monitor“-Abmoderation, die verdeutlicht, was aus dem einstigen Leitmedium Fernsehen geworden ist: „Also bleiben Sie dran.“ Oder diskutieren Sie weiter mit uns in den sozialen Medien. Oder schauen Sie mal auf „YouTube“, einen neuen Kanal von „Monitor“, mit den Filmen dieser Sendung. Alles Weitere finden Sie auf unserer Homepage.“ Guten Abend.

Erschienen auf filmdienst.deMit Eigenen AugenVon: Ulrich Kriest (5.5.2022)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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