Szene aus Perfect Days
Filmplakat von Perfect Days

Perfect Days

123 min | Drama | FSK 0
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Hirayama arbeitet als Reinigungskraft für öffentliche Toiletten in Tokio. Er führt ein einfaches und zurückgezogenes Leben, das ihn scheinbar vollkommen zufriedenstellt. Abseits seines äußerst strukturierten Alltags widmet er sich leidenschaftlich seiner Musik, die er von Audiokassetten genießt, und seiner Liebe zur Literatur, die er abends in gebrauchten Taschenbüchern vertieft. Doch durch unerwartete Begegnungen kommen nach und nach Details seiner Vergangenheit ans Licht, die er längst zu vergessen geglaubt hatte.

Filmkritik

Die Kassetten legt Hirayama lieber persönlich ein, selbst wenn der sein Leben größtenteils allein verbringende Mann mittleren Alters doch einmal einen Beifahrer hat. Denn wer außer ihm weiß heutzutage überhaupt noch, wie die Dinger funktionieren, die er auf seinem Autoradio abspielt?

Hirayama lebt in seiner eigenen Welt, die unter anderem aus Audiokassetten, dem avancierten Pop der 1960er- und 1970er-Jahre, Analogfotografie und Totholz besteht, also Büchern, etwa denen von William Faulkner. Ganz allein ist er in dieser Welt zwar nicht; gerade die Kassetten sind wieder in, seine Sammlung ist bares Geld wert, und gar nicht mal so wenig. Aber sie liegt doch ein ganzes Stück außerhalb des gesellschaftlichen Mainstreams, zu dem Hirayama hauptsächlich über seine Arbeit Kontakt hält: Als Angestellter einer Reinigungsfirma säubert er öffentliche Toiletten.

Fast Oasen inmitten der Großstadt

In „Perfect Days“ von Wim Wenders entfaltet sich ein ruhiges, in sich ruhendes Leben. Am Morgen wird Hirayama vom sanften Geräusch eines Besens geweckt, der über die Straße streicht. Nach einer knappen Morgenroutine macht er sich zur Arbeit auf; zum Start in den Tag genehmigt er sich einen Kaffee aus dem Automaten. Seine Tour führt ihn immer wieder zu denselben Toiletten; kleinen, erstaunlich modern und minimalistisch designten Funktionsgebäuden, oft umgeben von winzigen Parkanlagen, fast schon Oasen inmitten der Großstadt. Die Benutzer der WCs, denen Hirayama während der Arbeit gelegentlich begegnet und stets rasch aus dem Weg geht, haben im Allgemeinen jedoch kein Auge für deren Charme. Es ist Hirayama vorbehalten, die Schönheit der Weltausschnitte, mit denen er es tagtäglich zu tun bekommt, zu würdigen. Sein stilles Lächeln, das er mit Vorliebe dann aufsetzt, wenn einer seiner Mitmenschen ihn im Positiven überrascht, prägt den Film.

Es scheint, als ob beides zusammenhängt: Die Gleichform seines Lebens und Hirayamas Fähigkeit, Schönheit dort zu entdecken, wohin andere nur das körperliche Bedürfnis treibt, als kleines Ärgernis, eine Verzögerung auf dem Weg zu diesem oder jenem wichtigen Termin. Hirayama selbst arbeitet gewissenhaft, aber ohne Eile, und auch nach Feierabend bewegt sich sein Leben in den Bahnen einer Routine, die ihren Frieden mit sich selbst gemacht hat. Wiederholt sieht man ihn in einer Badeanstalt, bis zur Nasenspitze im Wasser versunken, in einem Imbiss, dessen Besitzer ihn stets mit denselben Worten begrüßt, in seinem Lieblingsbuchladen, als Stammgast einer Kneipe, deren Besitzerin ihm vielleicht auch über die Grenzen einer Dienstleistungsbeziehung hinaus zugeneigt ist und die in einer schönen Szene eine japanische Fassung von „House of the Rising Sun“ singt; desselben Lieds, das in der Version der Band „Animals“ den Film eröffnet.

Wenig Raum für Störsignale

Hirayama ist in seinem Leben gut aufgehoben, und auch in Wenders’ Bildern, die, in der klassischen „Academy Ratio“ im Verhältnis 1.33:1 weniger Platz an den Rändern lassen, als man das heute gewohnt ist, und deshalb auch weniger Raum für Störsignale. Wie in Hirayamas Leben gibt es auch in diesen Bildern keinerlei nervöse Verspannungen, sondern höchstens stabile Energiequellen, wie etwa das lila Leuchten der Lampen, mit denen Hirayama in seiner kleinen Wohnung seine Zierpflanzen bestrahlt. Souverän scheinen die Bilder auf und lösen einander ab, formen sich zu einem Fluss, der durch Wiederholung und Variation strukturiert ist.

Auf jeder morgendlichen Autofahrt legt Hirayama eine Kassette ein, aber jedes Mal eine andere. Hirayamas unzuverlässiger Kollege kommt mal zu spät, mal viel zu spät und irgendwann gar nicht mehr. Gelegentlich, etwa wenn plötzlich Hirayamas Nichte auf der Treppe vor seiner Wohnung sitzt, verdichten sich solche Variationen um ein Haar zu Mini-Erzählungen, deuten einen dramaturgischen Eigenwert an, der freilich stets bald wieder eingeebnet wird von der coolen Gleichmut der Wenders-Bilder.

Eine Kinofantasie des Lebens

Man sollte sich von der unspektakulären Lebenswelt Hirayamas nicht täuschen lassen: „Perfect Days“ ist alles, bloß kein sozialrealistischer Film über die Existenzbedingungen der japanischen Arbeiterklasse; sondern vielmehr eine reine Kinofantasie, die Fantasie eines Lebens, das sich in der Form, die es sich selbst gibt, genug ist. Man mag an Wenders’ Begeisterung für die an der Oberfläche ähnlich seelenruhigen Filme von Yasujiro Ozu denken, oder auch an das ähnlich stilbewusste und popkulturgetränkte Werk von Jim Jarmusch. Aber letztlich singt Wenders seine eigene Melodie, emotional gedämpfter als Ozu, sentimentaler als Jarmusch. Eine längere Gesprächsszene am Wasser kurz vor Schluss weist Hirayama vielleicht einen Weg hinaus aus der gelegentlich etwas allzu harmonischen Einsamkeit. Ob er ihn einschlagen wird, erfährt man nicht. Er läge außerhalb des Wahrnehmungsbereichs dieses schönen Films.

Erschienen auf filmdienst.dePerfect DaysVon: Lukas Foerster (17.1.2024)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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