- RegieAndres Veiel
- ProduktionsländerDeutschland
- Produktionsjahr2024
- Dauer115 Minuten
- GenreDokumentation
- Cast
- AltersfreigabeFSK 12
- Empfehlung der Jugendfilmjury14 - 99
- IMDb Rating7.2/10 (281) Stimmen
Vorstellungen
Filmkritik
Eine Kamerafahrt über glitzernde Bergkristalle. Dann das Filmbild eines schönen Gesichts im Profil. Die ersten Clips in dem Dokumentarfilm „Riefenstahl“ von Andres Veiel stammen aus dem Bergfilm „Das blaue Licht“ (1932). Die Hauptdarstellerin hieß Leni Riefenstahl; sie stand aber auch als Regisseurin im Vorspann. Allerdings erst nach 1933, nachdem jeder Hinweis auf die Mitarbeit des Juden Béla Balázs getilgt worden war. Die auratisch weichgezeichneten Bilder verflüchtigen sich allerdings rasch. Dafür jagen unidentifizierbare Filmstreifen vorbei, welche die schiere Materialfülle markieren, bis gleichsam das Malteserkreuzgetriebe des imaginären Projektors greift und Bewegtbilder erkennbar werden: von Hitler, NS-Aufmärschen und olympischen Wettkämpfen. Später tauchen Familienfotos auf, Vater, Mutter, Leni. Im weiteren Verlauf des Films bekommt man auch in psychologischer Hinsicht eine Ahnung davon, warum Leni Riefenstahl das wurde, wie sie war – und warum sie bis zuletzt so blieb: eine überzeugte Nationalsozialistin in der Maske der schönheitstrunkenen Grande Dame, die schon aufgrund ihres Alters unantastbar wirkte. Sie starb 2003 im Alter von 101 Jahren.
Basis des Projekts: Der Nachlass
Nach 1945 gelang Riefenstahl die wundersame Verwandlung in eine unpolitische Künstlerin und sogar in die verfolgte Unschuld. Ihr Kampf bestand fortan darin, der Öffentlichkeit Halb- und Unwahrheiten über ihre Nazi-Vergangenheit aufzutischen und Menschen, die hartnäckig nachhakten, mit Unterlassungsklagen mundtot zu machen. Sandra Maischberger, die Produzentin von „Riefenstahl“, hat erzählt, wie sie sich im Jahr 2002 bei einem Interview von der „lieben Greisin“ einwickeln und belügen ließ. Da aber „viele Fragen offenblieben“, bemühte sich Maischberger um den Nachlass in den 700 Kisten, die an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz überstellt worden waren. Sie bot der Stiftung eine aufwendige Inventur des Nachlasses an, um im Gegenzug einen Dokumentarfilm produzieren zu können. 2018 stieg Andres Veiel als Regisseur in das Projekt ein.
Das Arbeiterkind Leni, das sich erst als Ausdruckstänzerin versuchte, dann als Schauspielerin durch die Bergfilme von Arnold Fanck kraxelte, als Jungregisseurin sogar Hollywoodgrößen wie Chaplin begeisterte und dann für Hitler Propagandafilme drehte, wäre eigentlich ein sensationeller Spielfilmstoff, ein gefundenes Fressen für Hollywoodstars wie Jodie Foster und Sharon Stone, die beide Riefenstahl verkörpern wollten. Warum scheiterten bislang alle Spielfilmprojekte? „Weil es keinen dritten Akt gibt“, antwortet Veiel, „denn die Katharsis bleibt aus, die zur Heldenreise dazugehört. Nach einer starken Exposition und einem bunten zweiten Akt bleibt die weitere Entwicklung aus. In einem ihrer letzten Interviews fragt Riefenstahl einmal: ‚Was soll ich denn tun?‘. Mit dieser Frage fangen Spielfilme an. In meinem ersten Treatment ging es mit dem Satz zu Ende!“
Die Kontinuität einer faschistischen Ästhetik
Ist das Kunst, oder kann das weg? Die Frage läuft bei Riefenstahl ins Leere, weil ihr Bildkonzept bis heute fortwirkt, nicht nur in Werbeclips und Sportreportagen. Das Leitmotiv des Dokumentarfilms „Riefenstahl“ ist deshalb die Kontinuität einer faschistischen Ästhetik – und damit einer Haltung und Weltwahrnehmung, die das Hässliche, Schwache, Fremde, Andere hinter einer „schönen“ Oberfläche verschwinden lässt.
Es gibt gute Gründe, Riefenstahl als Künstlerin zu exkommunizieren. Veiel merkt selbst an, dass Riefenstahl eine wenig begabte Schauspielerin, eine ungeschickte Drehbuchautorin und eine grottenschlechte Erzählerin war. Als Regisseurin verteidigt er sie aber und zieht Parallelen zu seiner eigenen Praxis: Wer Filme mache, müsse keine Kamera bedienen können. „Riefenstahl hat aber Schaffensräume ermöglicht, gerade bei Kameraleuten. Das ist Regie.“ Auch im Schneideraum habe sie hervorragende Arbeit geleistet. Was durchaus umstritten ist. So lässt Nina Gladitz in ihrem Buch „Leni Riefenstahl. Karriere einer Täterin“ kein gutes Haar an der Filmemacherin Riefenstahl. Sogar beim Filmschnitt habe sie andere für sich arbeiten lassen. In diesem Punkt aber widerspricht Veiel vehement und macht seinen Befund auch im Film deutlich: Zwei Fotosequenzen zeigen die junge Riefenstahl als souveräne Meisterin am Schneidetisch.
Ihr größtes Pfund – und ihr Fluch – war ihr übermenschlicher Ehrgeiz. Riefenstahl war kein Multitalent, aber sie besaß den eisernen Willen, von der Malerei über Tanz und Schauspielerei bis zur Regie alle Medien durchzuprobieren, bis sich der Erfolg einstellte. Ihre Mutter wurde nicht müde zu betonen, dass ihr Kind „krummbeinig“ und „hässlich“ war. Bertha Riefenstahl, die ihre eigenen Ambitionen in der Ehe zurückstellen muss, wünscht sich, dass die Tochter Tänzerin werde. Und Leni folgte.
Doch eine Knieverletzung beendete 1924 ihre Tanzkarriere. Dann sah sie „Der Berg des Schicksals“ und setzte alles daran, bei Fanck Schauspielerin zu werden. Ihr Vater soll ihr als Kind einmal Schilf um den Bauch gebunden und sie dann ins Wasser geworfen haben. Sie habe Todesangst ausgestanden, wird Riefenstahl im Film zitiert. Ein andermal aber relativiert sie: Die Sache sei gar nicht so schlimm gewesen; sie sei ja eine gute Schwimmerin geworden. „Wir fanden die handschriftlichen Entwürfe für ihre Memoiren im Nachlass, in dem Riefenstahl ihre Kindheitserinnerungen inklusive diverser Gewalterfahrungen beschreibt. In den gedruckten Memoiren aber verschwindet die Gewalt mehr oder weniger. Sie erinnert sich nicht neutral, sondern sie erinnert sich, um ein bestimmtes Bild zu kreieren“, sagt Veiel.
Riefenstahl, die Lupenreine
Geschickt streut Veiel die Hinweise auf frühe Prägungen in den Film, um dem Verdacht entgegenzutreten, dass er Riefenstahl als Täterin entschuldigen wolle. Veiel geht es um etwas anderes. Er will Riefenstahls geradezu kriminelle Energie darstellen, mit der sie daranging, sich durchzusetzen, Gegner auszuschalten oder charmant zu entwaffnen. Mit einem einzigen Ziel: Riefenstahl, die Siegerin. Riefenstahl, die Lupenreine: „Sie konnte gar nicht anders“, sagt Veiel. „Eine Grundfigur ihres Lebens ist die Stärke und Überlegenheit, die sie aus Demütigung gewinnt. Da ist der väterliche Schraubstock und der mütterliche Spiegel.“
Als sie mit Fanck Bergfilme dreht, ist sie die einzige Frau unter Männern, die alle Teilnehmer des Ersten Weltkriegs waren. Eine Begegnung, die das psychische Grundmuster verstetigte. Veiel: „Die Männer haben im Krieg alle diese Todesnähe erlebt, die sie überhöhen: ‚Je näher wir dem Tod kommen, desto stärker werden wir.‘ In den Bergfilmen der 1920er-Jahren müssen nicht mehr die Franzosen oder Engländer bekämpft werden, sondern der Berg muss überwunden, oder im Fall des Fliegers Ernst Udet die gefährlichsten Kapriolen vor Felswänden geschlagen werden. Das hat die Männer bereitgemacht, sich vor der Fahne des ‚Führers‘ zu versammeln. Dann schneiden wir im Film direkt auf Hitler im ‚Triumph des Willens‘“.
Die Bilder wirken fort
Mit großer Sensibilität dosieren Andres Veiel und seine Editoren Alfredo Castro, Stephan Krumbiegel und Olaf Voigtländer die Originalausschnitte. Es gibt kurze Momente, in denen man die perverse Faszination von Riefenstahls Parteitagsfilm spürt. Mit dialektischer Raffinesse wird der Bann aber immer wieder gebrochen. Insgesamt ist „Triumph des Willens“ ja ein verblüffend langweiliger Film. Vielleicht zählt er deshalb nicht zu den rund 40 „Vorbehaltsfilmen“ der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung. Problematischer als das Ganze sind die ikonischen Bilder aus dem Film – und die schräge Fehlinterpretation als Popkunstwerk. Wie die Bilder fortwirken, ist ein zentrales Thema von Veiels „Riefenstahl“.
„Sie war ein Genie, aber ein politischer Trottel“, befand der irische Filmexperte Liam O’Leary. Nina Gladitz stellte dieses Zitat vom Kopf auf die Füße: „Keine Ausnahmekünstlerin, aber ein politisches Genie.“ Veiel korrigiert: „Sie agierte kurzfristig taktisch. Hätte sie langfristig ‚politisch‘ gedacht, hätte sie die vielen Belege für ihre faschistische Weltanschauung aus dem Nachlass getilgt.“
Richtig ist, dass Riefenstahl Menschen aufs Schäbigste ausnutzte. Besonders krass im Fall der Sinti und Roma, die sie als Statisten für ihren „Tiefland“-Film missbrauchte – und dann wider besseres Wissen behauptete, sie habe alle nach dem Krieg wiedergesehen. In Wahrheit wurden mehr als die Hälfte in Konzentrationslagern ermordet.
Der Täterin dicht auf den Fersen
„Riefenstahl“ ist der Täterin besonders dort dicht auf den Fersen, wo es um die Ereignisse in Końskie in Polen geht, wo Riefenstahl als Leiterin eines „Sonderfilmtrupps“ 1939 (nicht nur) Augenzeugin eines der ersten Wehrmachtsverbrechen wurde. Sie bestritt dies, aber Fotos, auf denen Riefenstahl mit schreckgeweiteten Augen zu sehen ist, beweisen, dass sie dabei war, als Juden auf dem Marktplatz erschossen wurden. Veiel geht aber noch weiter, indem er einen weiteren Zeugen zitiert, der gehört haben will, wie Riefenstahl beim Dreh auf dem Marktplatz gerufen habe, dass die „Juden“ – Menschen, die sie nicht in der Filmaufnahme haben wollte – „weg“ müssten. Möglicherweise, so Veiel, hat sie das Massaker dadurch mit ausgelöst.
Końskie war ein Wendepunkt in Riefenstahls Leben, der aber keine persönliche Einsicht nach sich zog, sondern eher Eskapismus. Vordergründig entfernte sie sich vom „Führer“ und traf ihn seltener; insgeheim trieb sie aber das Projekt einer Verfilmung von Hitlers Lieblingsoper „Tiefland“ voran.
Und auch mit dem Kriegsende schlug keine „Stunde Null“. Dass in der angeblich „unpolitischen“ Künstlerin eine Nationalsozialistin steckte, zeigen die vielen Tonaufnahmen im Nachlass; Riefenstahl fertigte geradezu manisch Mitschnitte von Treffen und Telefonaten an. Davon sind einige im Film zu hören, darunter viele Sympathiebekundungen. Die positive Resonanz auf Selbstverleugnung, fadenscheinige Mythenbildung und die (in Telefonaten) von Riefenstahl offen geäußerten rechtsextremen Ansichten verstören besonders.
Wie Mehltau über der Gegenwart
Warum so ein Film hier und heute? Deutschland rückt nach rechts. Weltweit feiern Autokraten Erfolge. Bei genauer Betrachtung steckt ohnehin viel Gegenwart in „Riefenstahl“. Die Rede von Rudolf Heß aus „Triumph des Willens“, dass Hitler „der Garant des Friedens“ sei, wäre ohne den russischen Krieg womöglich nicht im Film. Riefenstahls Expeditionen zu den Nuba im Sudan ab 1962 werden im Kontext des Postkolonialismus behandelt. In den ausgewählten Szenen sieht man eine Fotografin mit Herrenmenschen-Attitüde. Sie schlägt Nuba-Männer mit einem Stock und wirft Kindern Bonbons zu; alles musste nach ihrer Pfeife tanzen, damit Riefenstahl die Bilder eines von der Zivilisation unberührten „Naturvolks“ in den Kasten bekam.
Mit unscharfen Bildern aus der Videokamera ihres 40 Jahre jüngeren Ehemanns Horst Kettner endet „Riefenstahl“. Gegen Ende ihres Lebens kehrte die Regisseurin zum Foroglio-Wasserfall im Tessin zurück, an dem sieben Jahrzehnte zuvor „Das blaue Licht“ gedreht wurde. Sprühnebel füllt das Bild. Leni löst sich auf? „Ja, vielleicht wird sie vaporisiert“, sagt Veiel, „aber dieser Wasserdampf legt sich wie Mehltau auf die Gegenwart.“