Szene aus Smoke Sauna Sisterhood
Filmplakat von Smoke Sauna Sisterhood

Smoke Sauna Sisterhood

89 min | Dokumentarfilm | FSK 12
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Im südöstlichen Teil Estlands versammeln sich Frauen aus den benachbarten Ortschaften in einer Sauna mitten im Wald. In der gemeinsamen Stille und durch das gemeinsame Schwitzen lösen sich soziale Rollen und innere Hemmungen auf. Die Gespräche drehen sich um Erfahrungen in Beziehungen, Ängste, Missbrauch und die allgemeine Frauenfeindlichkeit in einer von patriarchalen Strukturen geprägten Welt.
  • RegieAnna Hints
  • ProduktionEstland, Frankreich, Island
  • Dauer89 Minuten
  • GenreDokumentarfilm
  • AltersfreigabeFSK 12
  • IMDb Rating7.8/10 (593) Stimmen

Filmkritik

Eine alte Hütte mitten im schneebedeckten Wald. Hierher kommen Frauen aus umliegenden Orten zum gemeinsamen Saunieren. In dem dunklen Raum, der vom Feuer im offenen Ofen und ein paar Luken nur schwach erleuchtet ist, sitzt eine neben der anderen. Junge neben Alten, nackt, ohne Hüllen oder falsche Scham, still in sich versunken, sodass man immer mal wieder brennendes Holz knistern oder das Zischen des Dampfes hört, wenn Wasser auf die heißen Steine gegossen wird.

Die Kamera bemüht sich nicht um einen Überblick, sondern taucht diskret und in vielen Detailaufnahmen in die schummrige Stille ein. Von wem die leisen Worte stammen, die eben geflüstert wurden, bleibt außerhalb des Bildrahmens; man sieht nur schwitzende Glieder, Arme, Beine, Füße und Körper, die keinem Model-Kalender, sondern eher einem Rubens-Bild entstiegen sein könnten. Generell gibt es in „Smoke Sauna Sisterhood“ (fast) keine „Figuren“, sondern überwiegend nur konzentrierte Momente und bildfüllende Impressionen; erst ab Mitte des Films fügt sich ab und zu auch ein Gesicht zu den Worten und Leib-Fragmenten.

Ein Ort des Übergangs

Die „Rauchsauna“, von der im Titel die Rede ist, zählt für die UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit, auch wenn diese Tradition nur in Finnland und im Südosten von Estland verbreitet ist. In dem Dokumentarfilm der estnischen Filmemacherin Anna Hints wird man mit den technischen Details einer solchen „Smoke Sauna“ durchaus vertraut gemacht, in der kein Kamin existiert, sondern der heiße Rauch stundenlang im Raum zirkuliert, ehe er vor dem Saunabesuch ins Freie gelassen wird. Praktischerweise dienen solche Kammern auch gleich zum Räuchern von Fleisch, das direkt unter der Decke hängt.

Das dritte Wort im Titel aber, die Schwesternschaft, deutet die eigentliche Richtung an. Erzählerisch höchst kreativ kreist „Smoke Sauna Sisterhood“ um einen von Frauen aufgesuchten Ort, in dem nicht nur die Körper überflüssige Schlacken und giftige Stoffe ausschwitzen, sondern sich bald auch unschöne Erinnerungen, Geschichten und Erfahrungen, mitunter sogar Traumata und bittere Tränen Bann brechen. Anfangs sind es Beziehungen, über die gesprochen wird, erste Liebschaften, Sex und Schwangerschaften, Tinder und Dick-Pics, Abtreibungen oder Geburtsschmerzen. Doch bald geht es auch um sexuelle Übergriffe, um Missbrauch unterschiedlichster Art, Vergewaltigung und Misogynie, wobei nie Theorien geschwungen, sondern stets nur persönliche Dinge ausgetauscht oder stockend artikuliert werden.

Sieben Jahre lang hat Hints an diesem außergewöhnlichen Film gearbeitet, der bis auf ein paar Szenen beim Ab- und Auskühlen fast ausschließlich in der dunkel-heißen Sauna spielt. Und obwohl der Fokus der Gespräche auf weiblichen Leidensgeschichten und der generellen Frauenfeindlichkeit einer patriarchalen Welt liegt, sind die Beiträge weder geskriptet oder für die Kamera inszeniert, sondern dokumentarischer Geduld, einem wohlüberlegten Konzept und dem besonderen Ort geschuldet.

Ein „transformatives Ritual“

Im Kern dreht es sich in „Smoke Sauna Sisterhood“ auch gar nicht um individuelle Schicksale, Ängste oder Erfahrungen, sondern es geht um ein „transformatives Ritual“, durch das Frauen auf nahezu mystisch-magische Weise zu sich kommen und über sich hinauswachsen. Für die Regisseurin sind die Rauchsaunen in einen spirituellen Kontext eingebunden, in ein zyklisches Naturverständnis mit einer fast religiösen Praxis, die mit „frommen“ Saunagesängen, innerer Demut und regelrechten Segenssprüchen verbunden ist. Man hört die Regisseurin selbst zu Beginn und am Ende die „Sauna Chants“ singen, in denen es um die besondere Magie dieses Ortes und auch um die Ehrfurcht davor geht, Beichtstuhl, psychotherapeutische Couch und heilendes Sanctuarium in einem zu sein. Die Nacktheit, die hier bar jeder Sexualisierung ins Bild gesetzt ist, befreit von sozialen Rollen und anderen Hürden und befördert die Bereitschaft, sich auf andere und ihre Geschichten einzulassen, sich im Gehörten vielleicht wiederzuerkennen oder eigene Gedanken beizusteuern. In der konzentrierten Stille der warmen Schwitzhöhle wird eine Form von Solidarität möglich, ein Gefühl von „Schwesternschaft“, die jeder Stimme und jeder Person im Raum ihren Ort und ihre Schönheit belässt.

Die eigentliche Stärke des Films resultiert dabei aus seiner intimen Kameraästhetik, die auf fast kubistische Weise aus lauter Einzelaufnahmen einen Ort und eine Atmosphäre ansichtig macht und vom Generellem handelt, ohne das Konkrete zu negieren. Selten hat man „normale“ Menschenkörper, die sich um die gesellschaftlichen Gestaltideale nicht mehr kümmern, so schön und in ein chiaroscuroeskes Licht getaucht gesehen wie in „Smoke Sauna Sisterhood“.

Erschienen auf filmdienst.deSmoke Sauna SisterhoodVon: Josef Lederle (22.11.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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