Szene aus Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger
Filmplakat von Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger

Verabredungen mit einem Dichter – Michael Krüger

91 min | Dokumentarfilm
Michael Krüger gilt als einer der bedeutendsten Verleger und Literaturvermittler in Deutschland und weltweit - aber vor allem ist er Dichter. Wir sind verabredet in den inoffiziellen Bereichen, wo sich seine Gedichte und ein unkonventionelles, schicksalhaftes Leben berühren. "Wie ein Gedicht wirklich entsteht? Wenn man es wüsste, würden keine Gedichte mehr entstehen. Das ist für mich ganz klar." Unvoreingenommen folgt der Filmemacher Frank Wierke den Gedankengängen Michael Krügers bei ihren Verabredungen - von Krügers letztem Monat im Verlag bis in die Zeit, in der eine lebensbedrohliche Erkrankung tiefe Fragen aufwirft. In der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, im Garten bei den vertrauten Bäumen und auf seinen täglichen Wegen sind es oft die gegenwärtigen Momente, in denen sich Michael Krügers Gedanken über das Leben entwickeln. Quelle: realfictionfilme.de"
  • RegieFrank Wierke
  • ProduktionDeutschland
  • Dauer91 Minuten
  • GenreDokumentarfilm

Filmkritik

„Man muss sich langsam auf den Tod vorbereiten und die Trümmer aus dem Kopf kriegen“, sagt Michael Krüger 2013 in den Räumen des Carl Hanser Verlags, wo er über Jahrzehnte lang Lektor und Geschäftsführer war. Er hat nur noch wenige Monate zu arbeiten, nicht unter 14 Stunden am Tag, mit 300 bis 400 gelesenen Büchern pro Jahr, weshalb ihm die Pensionierung nach all der Hektik hoch willkommen ist, denn mit den Trümmern meint er angefangene, aber nie beendete Projekte.

Vier Jahre später besucht ihn Regisseur Frank Wierke wieder. Der Kalender ist immer noch voll. Krüger stöhnt über die Rede, die er aus Anlass eines Musikpreises schreiben muss. Er sitzt in einem hellen Zimmer mit Blick auf Bäume, die Zeit vergeht und die Kamera schweift über den Schreibtisch, wo alles an seinem Platz zu liegen scheint, Brillen, Vergrößerungsgläser, Stempel. Dann sind die nicht endenden Bücherregale dran, „Kafka von Tag zu Tag“, lockt ein Cover, Milan Kundera, Gertrud Kolmar, Ted Hughes, Flaubert, Fotos von Stefan George und Botho Strauß. Schließlich die eigenen Werke, jeweils mehrere Exemplare, geordnet nach Titeln. „Es gibt noch hunderttausend andere Bücher, die unten im Keller stehen, vermodern, oder auf dem Land. Ich kenne die Ordnung, aber sonst keiner“, sagt Krüger schmunzelnd über seine Arbeitsbibliothek. In den Tagebüchern von Kafka liest er mindestens einmal in der Woche. Bei anderen Bücher ist er nur froh, dass sie da sind.

Vogelgezwitscher und Geigenmusik

Gedichte sind ihm als Autor lieber, denn „die wandern im Körper herum, während man bei Prosa ewig am Schreibtisch sitzen muss“. Zum Konzept des Dokumentarfilms „Verabredung mit einem Dichter“ gehört, dass Krügers Gesicht immer wieder in Großaufnahme ins Zentrum rückt, er Texte aus dem Off vorliest, während die Kamera durch seinen Garten schweift und auf Baumblüten fokussiert. Manche Texte kommen auch ohne seine Stimme aus, untermalt von Vogelgezwitscher oder expressiver Geigenmusik.

So erfährt man die Geschichte seiner Familie, des Großvaters, bei dem er seine Kindheit verbracht hat und der als Bauer in der DDR enteignet wurde, oder die des Vaters, der mitten im Krieg bei der Berliner Post Karriere machte. Man begleitet Krüger in München zur Bayerischen Akademie der Künste und schaut ihm beim Beobachten der Straße zu. Allmählich gewöhnt man sich an die entschleunigte Dramaturgie und lauscht gebannt dem zurückhaltenden Bibliophilen, dem nachdenklichen Dichter ohne Hang zur Selbstinszenierung, wie er über Bäume assoziativ Gedankenperlen aneinanderreiht, die eigene Vergänglichkeit ins Blickfeld nimmt, unterschiedliche Künstlertypen, seinen Weg in die Verlagsbranche, die Theaterbesuche mit seiner Großmutter oder eine kürzlich diagnostizierte Leukämie, die ihn dazu zwingt, darüber nachzudenken, wie er die übrig gebliebene Zeit nutzen soll. Alte Freunde in New York besuchen? Kleine bayerische Kirchen? Oder einfach noch einige schöne Gedichte lesen?

Das Porträt eines Intellektuellen

Dass er sich auf den Film über einen Zeitraum von zehn Jahren eingelassen hat, und auch seine zuletzt melancholische Stimmung ebenso teilt wie die Spaziergänge durch eine aus dem Winterschlaf erwachende Natur, ist ein Glücksfall. Selten erlebt man ein mit Monologen überquellendes und ohne Stimmen von Weggefährten auskommendes Porträt eines Intellektuellen, das die Spannung halten kann, unterbrochen von wenigen Einsprengseln aus Lesungen und vom Regisseur befeuerten Reflexionen darüber, wie ein Gedicht entsteht.

Es ist anzunehmen, dass Krüger den Auftritt all der literarischen Berühmtheiten, denen er begegnet ist, als Prahlerei empfunden hätte. Dennoch wäre es interessant zu erfahren, was der eine oder die andere über die Zusammenarbeit mit ihm denkt. Am Ende informiert ein eingeschobener Text, dass er sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in Quarantäne befindet, weil jede Infektion für ihn lebensbedrohlich ist. Ein erzwungener Rückzug in die Abgeschiedenheit, in der hoffentlich noch genug Zeit bleibt, um aus den Trümmern eine neue, blühende Sprachlandschaft zu stemmen.

Erschienen auf filmdienst.deVerabredungen mit einem Dichter – Michael KrügerVon: Alexandra Wach (8.12.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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