Szene aus VOLKSVERTRETER
Filmplakat von VOLKSVERTRETER

VOLKSVERTRETER

96 min | Dokumentarfilm
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Szene 1 aus VOLKSVERTRETER
Szene 2 aus VOLKSVERTRETER
„Wir fordern unser Land und unser Volk zurück“, sagt ein führender Kopf der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) in der Bundestagswahlnacht 2017 zu seinen Parteikollegen. Sie feiern, wie die vier Jahre zuvor gegründete AfD, drängt mit 94 Sitzen in den Deutschen Bundestag und ist damit auf Anhieb drittstärkste Partei. The Voice of the People begleitet vier Abgeordnete – allesamt Männer – drei Jahre lang bei ihrem Versuch, ihre Macht auszudehnen.
  • RegieAndreas Wilcke
  • ProduktionDeutschland
  • Dauer96 Minuten
  • GenreDokumentarfilm

Filmkritik

Zwischen dem Wahlabend 2017 und dem Bundestagswahlkampf 2021 begleitete Andreas Wilcke mehrere Abgeordnete der AfD mit seinen Kameras. Er nahm an deren Arbeitskreissitzungen, Bürgerdialogen, Auslandsreisen oder Stammtischen teil. Zu den rund hundert Drehtagen kamen viele Tage, an denen er „einfach nur vor Ort war, um die Lage und die Stimmung zu checken oder zu erfahren, wann wieder etwas eventuell Interessantes passieren könnte“. Als Ergebnis liegt nun der Film „Volksvertreter“ vor, nach Simon Brückners „Eine deutsche Partei“ der zweite abendfüllende Kinodokumentarfilm zum Thema.

Beide Filme eint der konsequente Verzicht auf gesetzte Interviews und einen Off-Kommentar. Der wird auch nicht vermisst. Denn Auswahl und Montage der Beobachtungen sind Kommentar genug. Dafür versicherte sich Wilcke der Mitarbeit des handwerklich brillanten und politisch wachen Editors Chris Wright, mit dem er aus der Vielzahl von Motiven hellsichtige thematische Tableaus baut. So entsteht das Porträt einer Partei, die fast ausschließlich um sich selbst kreist, ihre Bedeutung weitgehend aus der Gegnerschaft zu allen anderen, den „etablierten“ Parteien schöpft, aber nie aus dem Ringen um konstruktive Vorschläge für die Lösung gesellschaftlicher Probleme und Konflikte.

Zu sehen ist eine Parade der Eitelkeiten, zu hören ein um permanente Aufmerksamkeit buhlendes Wortgeklingel, das stets nur Losungen vom rechten Rand der Gesellschaft aufgreift und für den selbstbezüglichen Diskurs nutzt, aber soziale Kompetenz beispielsweise schmerzlich vermissen lässt.

Bitte keine entlarvenden Sprüche

Der Film beginnt im September 2017, mit Alexander Gaulands legendärem Satz „Wir werden sie jagen“, dem noch die Mahnung hinterhergeschoben wird: „Bitte keine Sprüche, die uns später auf die Füße fallen können.“ Doch genau solche Sprüche sind dann stets aufs Neue zu hören.

In einem ersten Komplex skizzieren Wilcke und Wright, wie sich vier AfD-Abgeordnete, allesamt Männer, gemeinsam mit ihren Beratern, Redenschreibern und PR-Angestellten das neue Terrain im Bundestag „erobern“, ihre Büros beziehen und beim Öffnen der Fenster arrogant spötteln, dass aus dem „klassischen Elfenbeinturm“ erst mal „der Mief der Jahrhunderte“ hinausgelassen werden müsse. Stolz wird eine Schlagzeile der Zeitung „Junge Freiheit“ zum Motto des Tages ernannt: „Der Frühling der AfD“. Die Linken, so heißt es abschätzig, seien doch nur eine kleine Pipi-Partei und nicht der „Feind“; der sei vielmehr bei der CDU zu suchen.

Momente der Realsatire

Politik ist Theater, heißt es an anderer Stelle, und so absolvieren die Abgeordneten ihre speziellen Theaterauftritte bei Bürgerdialogen oder beim Neuen Hambacher Fest, auf dem einer einen Passanten bittet, ihn doch kurz zu fotografieren: Schließlich müsste der Twitter-Kanal gepflegt werden. Überhaupt geht es immer wieder um populistische Selbstdarstellung, ums möglichst schmeichelhafte Bild. Wie erscheine ich am vorteilhaftesten in den Sozialen Kanälen? Mit welcher Emphase präsentiere ich meine nächste Rede? Wie und wo setze ich die richtige Betonung? Die gemeinsame Suche nach ideologisch aufgeladenen Phrasen, die aber bitte nicht in die Nähe des NS-Jargons kommen sollten. Einer der vier gestikuliert beim Reden mit Händen und Füßen. Einmal lässt er sich sogar auf die Knie fallen, als Parodie auf CDU-Angeordnete, die angeblich devot vor ihrer Kanzlerin auf dem Boden rutschen. Doch die von ihm „inszenierte“ Parodie fällt auf ihn selbst zurück: ein Moment der Realsatire.

Wilcke kam zugute, dass die Protagonisten von sich und ihrer Bedeutung über die Maßen überzeugt und niemals auch nur von der Blässe eines Zweifels angekränkelt sind. Da wird deutsche Historie schon mal umgeschrieben und neu interpretiert; dass eine Kamera dabei ist, ist kein Hinderungsgrund, im Gegenteil: Die Kamera wird genutzt, um das eigene verschrobene Geschichtsbild zu kultivieren. Flott stellt einer der Porträtierten, wenn es um das Thema der gesellschaftlichen Diskriminierung aus machtstrategischen Gründen geht, die AfD in eine Reihe mit einstigen jüdischen Opfern. Die Verbrechen des deutschen Kaiserreichs in den Kolonien werden als „Schattenseiten der deutschen Kolonialpolitik“ kleingeredet. Beim Betrachten der großflächigen Gemäldemotive im Fraktionssaal heißt es in Bezug auf die Bismarck-Zeit: „Da war die Welt noch in Ordnung.“ Sowohl die Burschenschaftler des 19. Jahrhunderts als auch die Widerständler des 20. Juli 1944 werden als Vorläufer der eigenen Politik reklamiert. Das ist alles nicht neu, aber in dieser Kompaktheit durchaus entlarvend.

Mit „fluchtbereiten“ Autos

Bevor sich im Schlusstableau die porträtierten AfD-Vertreter und ihr Umfeld zur Nationalhymne vereinen, teils textunsicher, teils verzückt tirilierend, platziert Wilcke den vielleicht stärksten Komplex des Films. Er begleitete den außenpolitischen Sprecher der AfD, den ehemaligen ARD-Journalisten Armin Paulus Hampel und seine Entourage, auf einer Reise nach Griechenland. Ziel sind die Flüchtlingslager auf der Insel Samos. Man möge, so heißt es, das Auto bitte so parken, dass man jederzeit „fluchtbereit“ sei. Rauchend und sichtlich angesäuert, allerdings weniger von den katastrophalen humanitären Zuständen im Lager, sondern davon, dass die Flüchtenden „nach Europa“ wollen, geht Hampel ein paar Schritte auf syrische oder afghanische Männer und Jugendliche zu. Für seine Kamera braucht er im Grunde nur deren Aussage, dass ihr Ziel Deutschland sei; das lässt sich zuhause propagandistisch prima ausschlachten. Empathie für die aus ihrer Heimat Vertriebenen springt nicht über.

Zum Glück entfaltet die auf anderthalb Stunden geballte Ladung hohler Worte und narzisstischer Eitelkeiten oft satirische Kraft. „Es gibt draußen noch Getränke und Würstchen, gehen Sie raus“, heißt es am Schluss, und: „Ich bleib noch ein bisschen da.“ Nach solchen Szenen haben Andreas Wilcke und sein Editor Chris Wright ein befreiendes Lachen durchaus eingeplant.

Erschienen auf filmdienst.deVOLKSVERTRETERVon: Ralf Schenk (2.1.2023)
Vorsicht Spoiler-Alarm!Diese Filmkritik könnte Hinweise auf wichtige Handlungselemente enthalten.
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