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Filmkritik
Von Natur aus haben die junge Familie Perthuis und die alleinstehende Buchhändlerin Sandra Ferney (Valeria Bruni Tedeschi) wenig gemein. Doch als Nachbarn hätten beide es schlimmer treffen können. Wenn es um kurzfristige Hilfe geht, ist es von Vorteil, dass es nur ein paar Schritte zu der anderen Wohnungstür sind. Die schwangere Cécile (Mélissa Barbaud) und ihr Mann Alex (Pio Marmaï) müssen zur Entbindung und bitten Sandra, ein paar Stunden auf ihren Sohn Elliott (César Botti) aufzupassen. Die Frau in den Fünfzigern ist zwar in Kinderbetreuung nicht erfahren, doch der Junge im Grundschulalter ist aufgeweckt, und so kommen die beiden ganz gut zurecht.
Aus wenigen Stunden wird allerdings ein ganzer Tag. Erst in der Nacht steht Alex wieder vor Sandras Wohnungstür, völlig aufgelöst, denn Cécile hat die Geburt ihres zweiten Kindes nicht überlebt. Dem schlafenden Sohn teilt er auf Sandras Bitte hin erst am nächsten Morgen mit, dass seine Mutter tot ist. Bei der nächsten Fahrt ins Krankenhaus, um nach dem Baby zu sehen, ist Sandra immer noch an der Seite von Vater und Sohn.
Eine unverhoffte Annäherung
Die Beziehung zwischen der Frau und dem Jungen bleibt zunächst die wichtigste Annäherung in „Was uns verbindet“. Nicht nur im Krankenhaus ist Sandra am Tag nach Céciles Tod und der Geburt der kleinen Lucille dabei. Sie bleibt auch in den folgenden Wochen die wichtigste Bezugsperson des Jungen. Der Vater begegnet der Dauerpräsenz der älteren Nachbarin anfangs distanziert und reißt Elliott schon mal ungeduldig aus Sandras Wohnung. Doch die Regisseurin Carine Tardieu und ihre Co-Autorinnen Agnès Feuvre und Raphaële Moussafir legen ihre Figuren als so grundlegend trostbedürftig und dabei empathisch an, dass eine weitere Annäherung nicht ausbleibt.
Die Familien vermischen sich weiterhin: Sandra wird auch mit der Mutter der Verstorbenen vertrauter, zudem drängt sich Céciles geschiedener erster Mann David (Raphaël Quenard) auf und handelt für Elliott, dessen leiblicher Vater er ist, mit Alex ein Arrangement aus. Nach diesem holprigen Einstieg ist David bei weiteren Familientreffen ein erst gelittener, dann selbstverständlicher Gast. Auf der anderen Seite lädt Sandra den Witwer auch zu ihrer Mutter und Schwester mit ein und wird vertrauter mit Alex. So sehr, dass es mehrmals zu Küssen und Liebeserklärungen kommt, die Sandra aber zurückweist – als Ausdruck von Schuldgefühlen und Überforderung.
Strukturiert wird der Film durch Kapitel, die jeweils einige Monate überspringen und sich stets auf das Alter der Neugeborenen beziehen. Lucilles Fortschritte werden dabei allerdings kaum thematisiert; der Bezug ist eher als Hinweis auf das sich entwickelnde neue Leben zu verstehen, und dass die französische Regisseurin weniger von Tod und Trauer als von Trost und Neubeginn erzählen will.
Mit großer Unaufgeregtheit
„Was uns verbindet“ konzentriert sich darauf, wie alle Figuren sich neu aufstellen, und auf die Meinungsverschiedenheiten, die sich dabei ergeben. So etabliert Tardieu über wenige, präzise skizzierte Stationen neben der Konkurrenz von Alex und David auch eine streitbare Phase zwischen Alex und Elliott, als der Junge sich vernachlässigt glaubt. Zudem lernt Alex die Kinderärztin Emilia (Vimala Pons) kennen. Die beiden verlieben sich, und von da an geht es von einem recht kurzen Kapitel zum nächsten auch um diese sich durchaus rasant entfaltende neue Beziehung.
Als erzählerische Qualität erweist sich etwa, was die Filmemacherin schon in ihrem vorherigen Werk „Im Herzen jung“ etablierte: Tardieu legt „Was uns verbindet“ als bemerkenswert unaufgeregtes Drama an, in dem sich alle Charaktere als offen und zugänglich erweisen – die einzige psychologische Vereinfachung in einem sehr realitätsnahen Szenario. Auch wenn sich der Fokus im Laufe des Films unter den Figuren verschiebt, und es auch zu Abschweifungen kommt, gelingt es Tardieu stets, ihn zum Kraftfeld im Zentrum zurückzuführen: zu Sandra, die über die Zuschauerrolle hinaus zu einer unverzichtbaren Person im Dasein von Elliott, Alex, Lucille und später auch Emilia heranwächst.
Tardieu widmet auch ihrem Lebensmodell viel Aufmerksamkeit. Denn wenn Elliott, aber auch andere mitunter Sandras Singledasein bedauern, verteidigt sie ihr Alleinsein als Demonstration der Unabhängigkeit. Mit ihrer Buchhandlung mit „feministischem Schwerpunkt“ hat sie sich einen Traum erfüllt; eine Ehe oder Kinder wollte sie dagegen nie. Dass sie die Rolle der klassischen (Ersatz-)Gattin/Mutter entschieden ablehnt, bewirkt deshalb durchaus Reibungen, da sie zu dem Jungen von gegenüber und dessen Vater eine tiefe Zuneigung hegt. Die Komplexität dieser Figur trägt den Film, zumal Tardieu die Überzeugungen von Sandra nicht didaktisch ausschlachtet. Stattdessen werden, gerade von den übrigen weiblichen Figuren, immer wieder auch Zweifel an Sandras Lebensweg laut.
Grenzen werden neu definiert
Als Film der Zwischentöne und stillen Fortschritte hängt „Was uns verbindet“ am exakt ausbalancierten Spiel der Darsteller, dem sich auch die jede Extravaganz scheuende Inszenierung unterordnet. Insbesondere Valeria Bruni Tedeschi und Pio Marmaï zeigen dabei in den Hauptrollen eine Zurückhaltung, wie sie für eher untypisch ist. Sekundiert von dem talentierten Kinderdarsteller César Botti, erschaffen sie Figuren mit Stärken und Schwächen, die in einer schweren Situation die Nähe zueinander suchen und sie durch ihre Wahlverwandtschaft überstehen. Die unaufdringliche Warmherzigkeit des Films offenbart sich gerade, wenn auch mal hitzige Vorwürfe aufkommen. Am Ende siegt die Verständigung, Grenzen werden definiert, und dann kann es weitergehen.