


Vorstellungen










Filmkritik
Dass auch Marie (Luise Kinseher) auf Befehl lügen kann, imponiert Karli (Sigi Zimmerschied). So hätte der Kleinganove die Mittfünfzigerin, die sich immer bürgerlich und rechtschaffen gibt, gar nicht eingeschätzt. Hinter Maries Fassade als erfolgreiche Unternehmerin sind allerdings schnell Risse zu erkennen – und ein Temperament, das dem Betrug nicht abgeneigt ist. Tatsächlich haben sich in Karli und Marie zwei Seelenverwandte gefunden, auch wenn es anfangs nicht so aussieht. Die beiden machen zufällig Bekanntschaft, als Karli einen Geldautomaten sprengen will und sie ihn dabei in beschwipstem Zustand anfährt. Wer den Unfall verursacht hat, ist in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Beide tun so, als ob sie das nonkonforme Verhalten des jeweils anderen nicht bemerkt hätten, und Marie lädt Karli spontan in ihren klapprigen Opel Admiral ein.
Da sie noch einen „Sekretär“ für ihren Geschäftstermin am nächsten Tag braucht, springt Karli ein und übernachtet auf dem Sofa. Das Businesstreffen verläuft nicht zufriedenstellend, doch durch Karlis Unterstützung als Kaffeezubereiter und sein großes Mundwerk brechen die beiden anschließend im Auto nach Innsbruck auf. Dort hofft Marie, einen Bauauftrag ergattern zu können. Ein paar Stunden später ist der Opel Admiral Geschichte – explodiert, weil Karlis Sprengstoff noch im Kofferraum lag. Doch auch Maries Bestechungsgeld ist jetzt futsch. Auf der Polizeiwache meldet Marie den Wagen kurzerhand als gestohlen und beweist beim Lügen eine solche Natürlichkeit, dass Karli große Augen macht. Nach Innsbruck fahren sie trotzdem weiter, allerdings per Zug.
Nichts läuft wie geplant
Auch in der österreichischen Stadt läuft nichts wie geplant. Ein stibitztes Nobelessen, ein entwendetes Kleid, einen gescheiterten Erpressungsversuch und eine weitere Explosion später steht Marie wieder mit leeren Händen da. Doch Karli ist an ihrer Seite und spendet ihr mit seinem unerschütterlichen Optimismus Mut.
Das Gangster-Road-Movie von Christian Lerch stellt zwei Protagonisten in den Mittelpunkt, die man nicht allzu oft auf der Leinwand sieht. Beide haben ihre besten Jahre hinter sich und sind streng genommen gescheiterte Existenzen. Karli ist ein Aufschneider, der stets seine vermeintlichen Heldentaten als Elitesoldat bei der Bundeswehr ausschmückt. In Wirklichkeit war er zwanzig Jahre Bundeswehrkoch in Afghanistan und wurde unehrenhaft entlassen. Dennoch ist er ein Tausendsassa, der über Kenntnisse in der Haute Cuisine oder der Oper genauso verfügt wie über eine blühende Fantasie. Marie wiederum erwähnt wiederholt, dass sie Schönheitskönigin von Mingkofen gewesen sei, und zieht über ihren untreuen Ex her. Der hinterließ ihr nach der Scheidung eine marode Villa und ein unrentables Bauunternehmen. Die bitteren Wahrheiten gestehen sich die beiden aber erst nach einiger Zeit ein, auch wenn sie bereits ahnen, dass die jeweils andere Person nicht so erfolgreich ist, wie sie sich gibt. So geht es in „Karli und Marie“ viel um den Schein, der durch das tatsächliche Sein jedoch umgehend widerlegt wird.
Der Kabarettist Sigi Zimmerschied gibt Karli als listigen, furchtlosen Kleingangster, der sich mit viel Improvisationstalent durch das Leben wurschtelt. Zunächst erscheint er als hoffnungsloser Fall und Loser. Doch mit Witz, Charme und seinen unbestrittenen Stehaufqualitäten überzeugt Karli seine Mitstreiterin und das Publikum. Auch Luise Kinseher hat sich auf der Kabarettbühne ihre schauspielerisch-humoristischen Sporen verdient. Sie strahlt eine natürliche, aber subtilere Komik aus und bildet so den Kontrast zum grimassierenden, sehr körperlich agierenden Zimmerschied. Beide ergänzen sich auf der Leinwand und schaffen es, ihren Figuren eine menschlich-anrührende Komponente zu verleihen. Man drückt ihnen die Daumen, auch wenn man ahnt, dass ihnen das Unglück weiterhin hold sein wird.
Auto, Taxi, Trecker, Bahn
Bald keimen auch so etwas wie zarte Gefühle auf und erweitern die Beziehung der beiden um eine romantische Komponente. In erster Linie ist „Karli und Marie“ jedoch ein Road Movie und führt optisch durchaus wirkungsvoll durch oberbayerische und österreichische Landschaften. Die Fortbewegungsmittel des Zweigespanns sind vielfältig: das eigene Auto, die Bahn, ein gestohlenes Auto, ein entwendeter Trecker und ein Taxi sorgen für unterschiedliche Tempi und Abenteuer. Sie verlangsamen die Erzählung und beschleunigen sie wieder. Karli und Marie hangeln sich von Etappe zu Etappe, von Misserfolg zu Pleite, von Hoffnung zu Enttäuschung und umgekehrt. Dabei interagiert das Gaunerduo wunderbar miteinander und potenziert den Humor des Stoffes durch Wort- und Situationskomik.
Gleichzeitig schlägt sich der Film auf die Seite der Verlierer, mokiert sich über profitorientiertes Denken und Erfolgsmenschen und propagiert das Zwischenmenschliche, das Analoge und das Spontane. Ein Abendessen des Duos mit Zangen und Tortenhebern (mangels Bestecks) gehört zu den Highlights des Films. Am Ende entlässt der Film das Zweiergespann in eine ungewisse Zukunft, wobei er sich vor Chaplins „Moderne Zeiten“ verneigt und damit sein anarchisch-humanistisches Credo unterstreicht.